Dantiel W. Moniz „Milch Blut Hitze“ Storys

Dantiel W. Moniz „Milch Blut Hitze“ Storys

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Im Gegensatz zu dem positiven, farbenfroh strahlenden Cover geht es in diesem Erzählband „Milch Blut Hitze“ der US-amerikanischen Autorin Dantiel W. Moniz um die „Schattenseiten des Sunshine State“, um Menschen aus der unteren Gesellschaftsschicht Floridas. Im Mittelpunkt stehen Mädchen, Teenager, Frauen, die außerhalb der typischen „weißen Welt“ leben. Diese Ausgrenzung macht die Autorin aber nicht unmittelbar zum Hauptthema. Sie wirkt eher unterschwellig in Anspielungen, Vorurteilen, Rollenklischees oder festgelegten Ansichten. Dadurch lassen sich die Storys übertragen, ermöglichen Identifikation unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht, jeder anderen Zugehörigkeit. Diese Subtilität in vielfacher Hinsicht ist kennzeichnend für die Autorin.

Worum geht es?

Dantiel W. Moniz ist eine der aufregendsten literarischen Neuentdeckungen aus den USA. Ihre gefeierten Erzählungen „Milch Blut Hitze“ sind intime Porträts von Menschen aus den unteren Gesellschaftsschichten Floridas. Moniz nimmt uns mit auf die Schattenseite des Sunshine State, in die Alltagswelten von Figuren, in denen es keinen Platz für große Träume gibt.

Eine Dreizehnjährige versteht ihre nicht enden wollende Traurigkeit nicht, es kommt zu einer unabsehbaren Tragödie. Eine Frau kämpft nach einer Fehlgeburt mit dem Abschied von einem Leben, das sie nicht kannte. Ein Teenager widersetzt sich der Kirche und erfährt den Preis dafür am eigenen Leib. Zwei entfremdete Geschwister müssen die Asche ihres toten Vaters nach Santa Fe bringen und sind auf den unendlich langen Highways gezwungen, sich den Abgründen ihrer Vergangenheit zu stellen. Aufrichtig und feinfühlig ergründet Dantiel W. Moniz Familien und andere menschliche Beziehungen und streift dabei immer wieder Themen wie Mädchen- und Frausein, Mutterschaft und Körper, Glauben und Konsum, Verlust und Verlangen. „Milch Blut Hitze“ stellt sich den Fragen und Lebensgefühlen unserer Zeit und verpackt sie in eine Sprache, die einfühlsam und kompromisslos zugleich ist. (Zusammenfassung des Verlags)

Wie fand ich es?

Moniz‘ literarisches Debüt besteht aus 11 Storys, die zwischen 4 und 30 Seiten lang sind. Kern der Erzählungen sind nicht die großen Themen rund um Helden und Bösewichte, sondern die kleinen, die sich im persönlichen Raum abspielen und die meist hinter den eigenen vier Wänden verborgen bleiben. So sind es aktuelle, alltägliche Probleme, die Moniz ans Tageslicht holt und so den Figuren, den Menschen, die dies erleben, eine Stimme verleiht. Es geht um Depression und Suizid, Verlust einer geliebten Person und einer bestimmten Zukunft, Unterdrückung und Machtausnutzung, Krankheit und selbst gewählter Tod, Verständnis von Muttersein, Zweifel an Beziehung und Eheprobleme immer verbunden mit den zahlreichen Facetten der Weiblichkeit. Und bei diesen Themen kratzt sie nicht nur an der Oberfläche, sondern gräbt tiefer und spricht das an, was wir übergehen oder nur flüchtig betrachten, weil es unangenehm ist.

Die titelgebende Story „Milch Blut Hitze“ hat mich besonders fasziniert. Es geht um Ava und ihre Freundin Kiera. Die beiden verbindet ein gemeinsames Gefühl der Traurigkeit und des Nicht-Verstanden-Werdens. Sie stellen sich gegenseitig Sterbesituationen vor, entwickeln Szenarien, sind jedoch unzufrieden mit ihren Erkenntnissen. Was passiert nach dem Tod? Kiera geht über die theoretischen Überlegungen hinaus und findet es heraus. Hier erscheint mir wichtig, aufeinander einzugehen und einander zuzuhören. Verstehen und Akzeptieren, eine Verbundenheit spüren, retten Ava indessen.

„Ich habe das Gefühl, ich ertrinke, und weit und breit war kein Wasser in Sicht.“

Mich hat von der ersten Seite an Moniz‘ Sprache in ihren Bann gezogen: fließend, präzise und leicht verständlich. Die Ausdrucksweise jeder einzelnen Story passt sich der Erzählerin an, ich höre ein Mädchen, eine junge Frau, eine Studentin und eine Mutter sprechen. Moniz geht auf ihre Figuren ein und verleiht ihnen ihre Stimme. Sie schreibt nüchtern, einfach, aber wortgewaltig, mit wunderschön bunten Wortkreationen, die wie das Cover im Kontrast zu der düsteren Thematik stehen. Vor allem in der ersten Kurzgeschichte hat mich die fantasievolle, aber klare Sprache begeistert. Die Vergleiche waren so simple, aber trafen pfeilgenau direkt ins Schwarze! Ava verdeutlicht mit lediglich zwei Sätzen den Unterschied ihrer eigenen Mutter zu Kieras und zeichnet so zwei gegensätzliche Muttertypen: „Ihre Mutter spricht mit künstlicher Süßstoffstimme, jedes Wort klar und deutlich artikuliert.“ – Gegenüber der Mutter von Kiera, die eine „luftig flatternde Erscheinung“ ist, „… ihre Zuckerwattestimme klingt so echt, so ernst, als könnte sie jeden Moment schmelzen“. Bei diesen Beschreibungen habe ich direkt ein Bild vor Augen.

In „Zungen“ hinterfragt Zey ihre von der Kirche diktierte gesellschaftliche Rolle als gehorsame, brave, sittsame Frau. Sie hat den Mut zu rebellieren, Verständnis wird ihr dafür nicht entgegengebracht – weder von ihren Eltern noch von ihrem Bruder oder ihren Freunden. Das Wort des Pastors hat mehr Gewicht. Sie wendet sich daraufhin von der Institution Kirche ab und widersetzt sich dem Pastor, deckt seinen Machtmissbrauch und seine Angst vor der unbändigen Weiblichkeit auf. Ihren freien Geist, den ihre Eltern nicht teilen und verstehen, bezahlt sie mit der Distanz zu ihrer Familie. In der Story „Almanach der Knochen“ erkennt Silvie rückblickend, dass ihre meist abwende Mutter sie doch liebt und auf ihre eigene Art – nicht zu vergleichen mit den präsenten Müttern ihrer Freundinnen – ihre Zuneigung ausdrückt, ihr eine Mutter ist, ohne sich von außen vorschreiben zu lassen, wie eine Mutter zu sein hat.

Moniz‘ Porträts sind aufrichtig, authentisch, realistisch. Es könnte eine Geschichte von mir sein, von meiner Freundin, von meiner Nachbarin. Sie sind so nah. Ich bin direkt in die Figuren abgetaucht, konnte durch die Innensicht ihre Gefühle nachvollziehen, mich mit ihnen identifizieren. Es erschreckt, ängstigt, zugleich stärkt es und macht Mut. So kurz ihre Geschichten sind, hallen sie doch lange nach. Sie machen nachdenklich, verlangen nach Interpretation, nach eigenen Überlegungen. Sie deuten aber nur an, geben nichts vor.

„‘Erzähl deine Geschichte‘, ermutigten die Frauen sich gegenseitig. Ich schloss die Augen und versuchte, meine eigene Geschichte zu sehen, nicht meine Vergangenheit, sondern so etwas wie eine Zukunft. … Ich war eine wunderbare Kreatur, leuchtend und kostbar.“

Fazit

Ich bin begeistert! Moniz‘ „Milch Blut Hitze“ ist eine erstaunliche Sammlung von eindrücklichen Geschichten, die zum Nachdenken anregen, einen aber nicht mit einem schlechten Gefühl zurücklassen. Sie geben auch Mut und strahlen eine gewisse Zuversicht aus. Diese Storys lege ich jeden ans Herz!

Vielen Dank für den Austausch auf LovelyBooks, und ein Dankeschön an den C.H. Beck Verlag für die Bereitstellung des Leseexemplars.

Milch Blut Hitze

Storys

Dantiel W. Moniz

Übersetzt von Anke Caroline Burger und Claudia Arlinghaus

C.H. Beck Verlag, 26. Januar 2022, 230 Seiten

Hardcover

ISBN: 978-3-406-78157-5