Jurica Pavičić „Ein Tod für ein Leben“

Jurica Pavičić „Ein Tod für ein Leben“

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„Leben ist das was passiert, während du beschäftigt bist, andere Pläne zu machen.“

John Lennon

Was passiert, wenn mensch sein ganzes Leben durchplant? – Genau, es kommt natürlich anders, als mensch es sich vorgestellt hat. Gerade diese Erfahrung muss auf besonders harte und lebensverändernde Weise die Hauptfigur Bruna in Pavičićs Roman „Ein Tod für ein Leben“ machen. Bruna ist eine junge Frau, die noch ihr ganzes Leben vor sich hat. Sie macht gerne Pläne für den Tag – ihre Freizeit, ihr Studium oder ihre Zukunft mit Job, Wohnung und Familie. Ihre Schritte sind somit bewusst und genau gesetzt. Nur dieser eine, der alles ins Rollen bringt, kommt unerwartet.

Nun sitzt Bruna seit 11 Jahren ihre Gefängnisstrafe für den Mord an ihrer Schwiegermutter ab. Sie steht kurz vor der Entlassung und einem neuen Leben in Freiheit. Über Rückblicke erfahren wir Schritt für Schritt, wie es zu der Tat gekommen ist. Wie ein Abend oder ein unachtsamer Schritt Leben verändert hat.

Die junge Bruna ist eine selbstbewusste, freie Frau, die ihr Leben fest in der Hand hat. Sie weiß, wohin sie will und was noch kommen wird. Die Begegnung mit Frane scheint ihr Leben zu komplettieren. Die gemeinsam verbrachten Tage und ihre Hochzeit kündigen eine rosige Zukunft an. Doch mit dem Einzug in das Haus ihrer Schwiegermutter Anka ziehen dunkle Wolken auf. Bruna merkt innerlich, dass dies eine falsche Entscheidung ist. Doch die Bestärkung von ihrer eigenen Mutter und die rationalen Argumente von Frane lassen sie ein ums andere Mal verstummen. Pavičić zeigt auf, wie aus einem eigenen Heim ein fremder Ort, wie Bruna von einer stolzen Frau zu einem unliebsamen Gast wird. Mit kleinen Seitenhieben, bedachten Gesten, aber ohne ihr gegenüber feindselig zu werden, verdeutlicht Anka ihren Status als Herrin des Hauses. Bruna versucht sich einzubringen, doch alles, was sie tut, genügt nicht. Frane scheint die Konkurrenz zwischen Ehefrau und Mutter zu ignorieren, spricht Bruna nicht darauf an, fragt sie nicht nach ihren Wünschen. Er bleibt stumm und blind, führt so ein glückliches Leben.

„Für alles gab es Regeln, und Anka Šarić ließ keine Gelegenheit aus, immer wieder zu verstehen zu geben, dass Bruna ein ungeschickter Neuling war. Dabei zeigte Anka nicht die Spur von Verärgerung oder Feindseligkeit, lediglich eine selbstverständliche Dominanz. Wie eine unerreichbare Schneekönigin bezichtigte sie Bruna ganz beiläufig der Schlamperei.“

Alles kommt anders, als Anka einen Schlaganfall erleidet und Pflege bedarf. Bruna übernimmt zwar das Regiment, kocht, putzt und pflegt Anka (wohlgemerkt neben ihrer Arbeit!), doch das Zepter hat Anka immer noch nicht aus der Hand gegeben. Als Frane wieder für Monate auf See ist, die beiden Frauen allein zu Hause lässt, fühlt Bruna das erste Mal wieder Macht und Stärke in dem Wissen, dass Anka ihr völlig ausgeliefert ist, ihr vertrauen muss und sie ihr Schritt für Schritt schaden kann.

Pavičić thematisiert in seinem Roman die widersprüchlichen Erwartungen an die Rolle der Frau, gefangen zwischen Tradition und Moderne. Heutzutage wird vorausgesetzt, dass sie beruflich und finanziell unabhängig sind, gleichzeitig sich aber auch allein um Haus und Hof kümmern, putzen, kochen, abwaschen. Hinzu kommt die Pflege von kranken Familienmitgliedern. Bruna scheitert an ihren Ansprüchen, ist ohnmächtig und verliert ihre Stimme. Sie sieht keinen Ausweg, da sie weder von ihrem Mann noch von ihrer Mutter Unterstützung erfährt. Ihr Leid nimmt niemand wahr.

„Wie Menschen, Dörfer, Inseln, Völker große Pläne und fantastische Ideen entwickeln und märchenhafte Fassadenbauen, die aber genau das bleiben – Fassaden. Deshalb mag Bruna diesen Ort. Sie setzt sich gerne ans Fenster dieser im Entstehen verharrten Kirche und schaut hinunter auf die Bucht. […] Alle haben etwas geplant: Völker, Reiche, Generationen. Ihnen allen haben die Pläne jedoch eine lange Nase gedreht. So wie ihr auch.“

Pavičićs Sprache ist direkt, ungeschminkt und nüchtern. Er schildert ohne Dramatik von einem Leben, das durch kleine Verschiebungen – einem Krimi gleich – zum Gefängnis wird. Klar ist von Anfang an die Story, der lebensverändernde Ausgang um Bruna, und trotzdem habe ich mit Bruna mitgefiebert und gehofft, dass die Geschichte wider Erwarten eine andere Wendung nimmt, dass ihr Mann aufwacht und die angespannte Situation zu Hause erkennt, dass ihre Mutter und ihre Freundin Brunas tristes, unglückliches Leben ansprechen und sie zum Handeln bewegen. Nichts davon geschieht. Bruna lebt stumm ihr eintöniges Leben. Pavičić ergreift nicht Partei, entschuldigt weder Brunas Verhalten noch beschönigt er es, und trotzdem kommt bei mir Sympathie und Verständnis für Bruna auf. Dass sie nur den einen Ausweg gesehen hat, kann ich so gut nachvollziehen (auf fiktiver Ebene selbstverständlich!).

Die Überlegungen von „Wenns“ und „Hätte“, von einer anderen Zukunft, einem glücklichen, aber gewöhnlichen Leben, wenn es diesen einen Tag nicht gegeben hätte, sind allzu menschliche Gedankenspiele, die jedoch Bruna nur eine Erkenntnis lehren: keine Pläne mehr zu machen, nicht an die Zukunft zu denken, sich auf niemanden zu verlassen. Und daraus entwickelt sich ihre einzige Strafe: der Verlust von Vertrauen in ihr nahestehende Menschen, die daher notwendige Distanz und das darauf folgende Fehlen von Nähe und Zuneigung.

Fazit: Ein spannender Roman, der aufzeigt, dass das Leben seine ganz eigenen Wendungen nimmt. Berührend und menschlich.

Vielen Dank an den Verlag schruf & stipetic für das Leseexemplar.

Jurica Pavičić

Ein Tod für ein Leben

Roman aus dem Kroatischen von Blanka Stipetić,
schruf & stipetic, 2022, 224 Seiten, Hardcover

ISBN: 978-3-944359-63-2