Oliver Reps „Der Tag der nie kommt“

Oliver Reps „Der Tag der nie kommt“

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Wunderschön und traurig!

Egal, ob Jugendbuch oder Erwachsenenliteratur, der Roman „Der Tag, der nie kommt“ von Oliver Reps ist wunderschön und traurig zugleich. Wunderschön, weil es die Liebe zwischen großem Bruder und kleiner Schwester auf besondere Weise zeigt sowie die gemeinsame tiefe Freundschaft und Verbundenheit zur Freundin Polly. Traurig, weil es so viel mehr ist, was diese Freundschaft und Geschwisterliebe ausmacht, weil alle drei so viel mehr bewältigen müssen, weil deren Schicksalsschläge so erstaunlich heftig sind.

Worum geht es?

»Der Tag, der nie kommt« ist die Geschichte des 17jährigen filmbegeisterten Elias, der über sein Leben und die Ereignisse nachdenkt, die ihn in die Situation gebracht haben, in der er sich befindet. Über den letzten Sommer, seine Freundin Polly, die wie ein Engel vom Himmel fiel, über seine sehr besondere Schwester Evi. Und über die Dämonen in seinem Kopf. Es ist eine Geschichte, die immer wieder auf eine falsche Fährte führt. (Verlagstext)

Wie fand ich es?

„Weitermachen oder aufhören, das sind die beiden Optionen, die man hat, und aufhören funktioniert hauptsächlich theoretisch…“

Was muss passieren, dass aus einem Weitermachen ein Aufhören wird?

Elias erlebt zusammen mit seiner kleinen Schwester Evi und seiner Freundin Polly den Sommer seines Lebens. Die Welt macht wieder für ihn Sinn, die Sonne strahlt, das Leben fühlt sich wunderbar an. Und doch gibt es da diese dunklen Wolken, die immer wieder den sonnigen Himmel verdunkeln wollen. Als Lesende spürt man unterschwellig, dass sich etwas Schlimmes anbahnt.

Über Rückblicke erfahren wir mehr von Elias, von seinen prägendsten Erlebnissen, über sich, seine Schwester sowie über Polly. Aufgrund seiner schlechten Erfahrungen mit der Ungerechtigkeit des Lebens sehen wir ihn hadern und mit sich und anderen kämpfen. Aber er wirkt reifer als seine gleichaltrigen Schüler und Schülerinnen. Er grübelt, reflektiert sein Handeln, kann bestimmte Auslöser für seine Handlungen benennen und an sich arbeiten.

Sinnfragen des Lebens, die sich jeder Teenager irgendwann mal stellt, erhalten hier eine neue Bedeutung, einen traurigen Beigeschmack, weil gerade die beiden Hauptfiguren mehr erdulden müssen als viele andere in ihrem Alter.

Ernste und traurige Sequenzen stehen neben lustigen Episoden. Ich habe fast für Elias, Evi und Polly Tränen weggedrückt, aber vor allem habe ich gelächelt und geschmunzelt. Gerade die Szene, als die beiden Geschwister über das seltsame Verhalten ihrer Eltern nur den Kopf schütteln können, war grandios. Wie reagiert man, wenn der Sohn zum ersten Mal eine Freundin mit nach Hause bringt? – Natürlich: Haus aufräumen und putzen, Garten jäten und Beete anlegen, Familienfrühstückstradition einführen, ausgiebige Kochabende. Dieser unbedingte Wille, einen guten ersten oder auch zweiten Eindruck machen zu wollen, ist so süß beschrieben. Herrlich.

Zuletzt habe ich mich gefragt, warum es denn so tragisch enden musste. Kaum habe ich mir die Frage gestellt, kam mir Elias eindeutige Antwort in den Sinn: Sie hatten gar keine andere Möglichkeit, denn es war immer klar, „alles ist besser als das“, besser als ein grauer Alltag, besser als ein Leben ohne Verstand. Daher gab es nur den einen Weg. Es stellte sich nicht die Frage, ob die rote oder die blaue Pille…

„Die Rote natürlich.“

„Warum die Rote?“

„Weil es keine Wahl gibt.“

„Wieso keine Wahl? Du kannst doch die Blaue nehmen?“

„Das ist keine Wahl. Keine wirkliche.“ (Wer den Film Matrix gesehen hat, verstehts)

Als Erwachsene könnte man Elias‘ und Evis Reaktion eher zwiegespalten betrachten – mit Verständnis und Besorgnis. Ich plädiere daher auch für ein „Weitermachen“ und ein Es-wird-bestimmt-besser-Werden.

Fazit

Wunderschön und traurig, leicht geschrieben und doch tiefsinnig. Nicht ohne Grund ist dieses Buch als bestes Jugendbuch des Jahres 2019 in den Niederlanden ausgezeichnet worden. Ein Jugendbuch, das auch Erwachsene fesseln und uns die Sicht der jungen Generation näherbringen kann.

Vielen Dank an buchcontact und den 360 Grad Verlag für das Leseexemplar.

Oliver Reps

Der Tag, der nie kommt

Übersetzt von Ulrich Faure

360 Grad Verlag, 2022, 190 Seiten, ab 14 Jahren

ISBN 978-3-96185-779-1