Jojo Moyes „Mein Leben in deinem“

Jojo Moyes „Mein Leben in deinem“

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Trist trifft glamourös. Unscheinbar trifft reizvoll. Ermattet trifft powerful. Die von ihrem neuen Chef andauernd gedisste und im Alltagstrott verhaftete Sam, die zudem mit einen depressiven arbeitslosen Ehemann, einer altklugen Tochter, fordernden Eltern und einer krebskranken besten Freundin jonglieren muss, begegnet im Fitnessstudio ihren absoluten Gegenentwurf. Denn Nisha ist eine selbstbewusste, arrogant wirkende, privilegierte Amerikanerin, die ihren reichen Mann auf Geschäftsreise nach London begleitet. Jojo Moyes verflicht in ihrem Roman „Mein Leben in deinem“ das Leben der beiden Mittvierzigerinnen, deren Zufallsbegegnung lebensverändernde Ereignisse ins Rollen bringt.

Moyes spielt hier mit Stereotypen und Vorurteilen sowie mit dem fatalen ersten Eindruck von Menschen. Daher erscheinen die beiden Frauenfiguren am Anfang sehr klischeehaft und überspitzt. Nisha ist so, wie ich mir reiche Ehefrauen in den 90ern vorstelle: sehr bissig, intrigant und auf Haltung und den äußeren Schein bedacht. Daher fällt für sie Sam allein durch deren huschenden Gang, geduckte Körperhaltung und billigen Kleidungsstil in eine ganz bestimmte Kategorie Mensch: „Wenn du schon aussiehst wie ein Opfer, musst du dich nicht wundern, wenn dich die Leute schlecht behandeln, denkt sie.“ Das Motto „Kleider machen Leute“, das sich Gottfried Keller schon 1874 in seiner gleichnamigen Novelle zunutze gemacht hat, bzw. Nishas abgewandeltes Motto „Auftritt ist die halbe Miete“ scheint sich über den Roman zu legen.

Denn sobald Sam durch eine Verwechslung Nishas exklusive Louboutins und Chaneljacke trägt, verändert sich auch ihre Körperhaltung und ihr Auftreten. Sie verwandelt sich in eine mutigere, gelöstere und sichere Sam, die lachen kann und sich mit ihren Kollegen amüsiert. Nisha hingegen fühlt sich durch Sams flache und ausgetretene Pumps und den Secondhand-Klamotten gehemmt und kleiner. Bis hierin liest es sich sehr flach, aber zum Glück bleibt es nicht bei dieser oberflächlichen Story. Moyes vertieft in diesem Roman die unglaubliche Praxis des rigorosen amerikanischen Scheidungsrechts kombiniert mit den Themen Klassenunterschiede, Depression und die Folgen für die Angehörigen, Selbstliebe und -fürsorge, Frauenfreundschaft. Auch zeigen die Protagonistinnen weitere Facetten und lösen sich von ihren starren Ansichten. Trotzdem sind es die Nebenfiguren, Sams Freundin Andrea und Nishas Kollegin Jasmine, die mich zum Weiterlesen motiviert haben. Die beiden sind wichtige Sympathieträger und stärken die Handlung.

Der Roman trägt Moyes unverkennbare Handschrift, trotzdem haben mir ihr Sprachwitz und die Leichtigkeit auch bei schweren Themen gefehlt.

Fazit

Ein wirklich netter Roman für zwischendurch, der unterhält – der aber auch im Gegensatz zu einigen anderen Büchern aus ihrer Feder nicht nachhallt, sondern wohl in meinem Bücherregal verstauben wird.

Vielen Dank an den Rowohlt Verlag für das Leseexemplar.

Jojo Moyes „Mein Leben in deinem“. Roman

Aus dem Englischen von Karolina Fell

Wunderlich Verlag, 2023, 512 Seiten

ISBN: 978-3-8052-0085-1