Ein solch eindrucksvoller Titel wie „Die Halbwertszeit von Glück“ von Louise Pelt verlangt nach einer epischen Geschichte, nach etwas Großem und Tragendem. Meint ihr nicht auch? Ob Pelt meine Erwartungen daran erfüllt hat, tja, da bin ich mir nicht absolut sicher, aber dazu komme ich gleich.
Pelt lässt uns in die Leben dreier Frauen in unterschiedlichen Lebensabschnitten und in verschiedenen Jahrzehnten eintauchen: Mylène in Paris 2019, die mitten in ihren Hochzeitsvorbereitungen steckt und ein unerwartetes Erbe ihre Gewissheiten ins Wanken bringt. Johanna im Jahr 1987, die sich an der Grenze zur BRD in einer Waldhütte vor ihrer Vergangenheit versteckt und ein Mädchen aufnimmt, das vor der Grenzpatrouille Schutz sucht. Und Holly in L. A. 2003, die davon träumt Drehbuchautorin zu werden, ein tragisches Ereignis sie jedoch komplett aus der Bahn wirft. Diesen drei Frauen geht eine Episode von Margarethe voraus, die in den politischen Unruhen in Wien 1938 ihre große Liebe verliert. Somit erfahren alle vier Frauen, wie ein prägendes Ereignis ihre Pläne durchkreuzt, ihnen ihr Glück entreißt und es vermeintlich für alle Zeit fort ist. Vor allem Johanna und Holly sind davon überzeugt, dass ihr Glück, wie der Titel andeutet, von kurzer Dauer ist und sie sich nur noch dafür einsetzen können, dass andere ihr Glück finden und ihre Träume leben.
„[…] Dass auch das Glück eine Halbwertszeit hat. Es zerfällt direkt vor unseren Nasen, rinnt zwischen unseren Fingern hindurch, und wir merken es nicht – manchmal verstehen wir ja noch nicht einmal, dass wir überhaupt glücklich sind. Aber wir können es nicht festhalten, das Glück, egal, wie sehr wir es auch versuchen. Wir können nicht dafür sorgen, dass die Melodie für immer spielt und die Liebenden bis in alle Ewigkeit tanzen.“ Johanna
Doch natürlich fragt man sich, besteht vielleicht die Möglichkeit, dass sie neues Glück finden können, es wiederkehrt? Denn was wäre das für eine traurige Geschichte, wenn das Glück tatsächlich so zerbrechlich wäre und alle drei Frauen den Rest ihres Lebens in Schuld und Traurigkeit zergingen? So viel mag ich verraten: Die Hoffnung ist da, dass sie lernen, das Leben neu zu leben, und neue Gründe erfahren, warum es sich lohnt zu lachen und zu weinen. Wer noch mehr wissen will, der muss es selbst lesen, denn es ist auch wirklich spannend zu verfolgen, wohin es die Protagonistinnen treibt und am Ende natürlich wie sie alle mit Margarethe und untereinander in Verbindung stehen.
„Kein Grund, Trübsal zu blasen. […] Du kriegst nicht immer genau das, was du dir wünschst. Aber wenn du die Augen offenhältst, zeigt dir das Leben die eine oder andere Hintertür. Und hinter denen ist es meistens auch ganz nett.“ Jay zu Holly
Pelt erschafft eine weitgreifende Geschichte um die Frage des zweiten Glücks und verflicht die Leben ihrer Protagonistinnen auf kluge und überraschende Weise. Eine Sache hat mich beim Lesen allerdings gestört: Sie schreibt sehr bildreich, sehr aktiv, die kleinen Dinge sowie die große verbindende Geschichte sind sehr plakativ und den Figuren werden Bewegungen und Gesten zugeschrieben, die mir allerdings kaum Spiel gelassen haben, selbst etwas auszumalen. So kam bei mir das Gefühl auf, dass ich ein Drehbuch lese, eine Vorlage für einen Film. Das muss an sich nicht schlecht sein, hat mir aber mein Lesevergnügen etwas gedämmt. Somit stellt sich mir der Roman nicht ganz wie erwartet als eine solch epische Geschichte dar – und trotzdem ist er sehr lesenswert.
Fazit
Louise Pelt zeigt eindrucksvoll, wie zerbrechlich das eigene Glück sein kann, aber auch, dass jeder Mensch es verdient hat, Glück zu empfinden, unabhängig davon, was ihm widerfahren ist. Eine liebevolle Geschichte mit mutigen Protagonistinnen, die sich ihrer Vergangenheit stellen und einen Weg zurück ins Leben finden.
Vielen Dank an Bastei Lübbe für das Rezensionsexemplar und die tolle Buchbox!
Louise Pelt „Die Halbwertszeit von Glück“. Roman
Bastei Lübbe, 2024, 431 Seiten
ISBN: 978-3-7577-0022-5