Lize Spit „Der ehrliche Finder“

Lize Spit „Der ehrliche Finder“

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Was bist du bereit, für deine beste Freundin oder deinen besten Freund zu tun? In dem Roman „Der ehrliche Finder“ nähert sich Lize Spit dieser Frage an. Die Hauptfigur dieses kleinen Bändchens ist Jimmy, ca. 9 Jahre alt, der weder eine Clique noch einen besten Freund hat. Seine Sonderbarkeit zeigt sich in seinem routinierten, aber einsamen Alltag eines ehrlichen Finders von bspw. Münzen, die im Zigarettenautomaten vergessen wurden und er in Flipspackungen investiert. Denn er ist auch ein geflissentlicher Sammler von Flippos, kleinen Sammelplaketten aus Chipspackungen, die in den 90ern in Belgien einen Flippomanie ausgelöst haben. Alles ändert sich aber für Jimmy, als Tristan, der mit seiner Familie aus dem Kosovo nach Belgien geflohen ist, sein neuer Sitzpartner in der Schule wird. Sie verbringen von nun an sehr viel Zeit miteinander, Jimmy bringt ihm Flämisch bei, hilft ihm den Schulstoff zu verstehen und nimmt an dessen traumatischen Erlebnissen Anteil.

„Wenn Jimmy nicht aufpasste, lief er die ganze Zeit mit einem breiten Grinsen auf den Lippen herum, einem Grinsen, das er aber doch besser zu unterdrücken versuchte, weil die Mobber aus der fünften und sechsten Klasse nicht merken durften, dass er […] endlich mal Glück hatte. Sie würden es sofort zerstören“.

Wir erleben diese wachsende Freundschaft aus der Perspektive von Jimmy. Diese zwar kindliche und damit eingeschränkte Sicht finde ich trotzdem sehr sympathisch, denn Spit hat einen klugen Jungen gezeichnet, der sehr aufmerksam durch sein Leben geht, die Menschen um sich herum beobachtet und auch seinen neuen Freund sehr klar sieht. Er erkennt, dass er nur eine Version von Tristan kennenlernt, nie aber den wahren Jungen, denn die Flucht mit seiner Familie und die daraus hervorgehenden psychischen wie physischen Folgen haben einen neuen Tristan geformt. Angesprochen wird vor allem die Angst vor Abschiebung, vor uniformierten Menschen und dem offenen Meer.

„Jimmy hatte sich damit abfinden müssen, dass […] sich irgendwo in dem Tristan, ein anderer Tristan versteckte, eine ausführlichere Version […], der seine eigene Sprache sprach, der zehn Sommer in relativem Frieden auf einem Bauernhof in der Nähe der Berge verbracht hatte, der kein Heimweh nach irgendwas hatte und noch nichts und niemanden hatte zurücklassen müssen. So gerne Jimmy diesen Tristan ebenfalls kennenlernte [sic!] wollte, kannte er doch nur die äußerste Schicht, die um diesen herumgewachsen war, ein dünner Wachstumsring einer anderen Holzart.“

Auch wird deutlich, dass sich Jimmy nach Zugehörigkeit, Zusammenhalt und einer Familie sehnt, da seine eigene kürzlich zerbrochen ist und der Vater nicht nur ihn und seine Mutter, sondern auch fast das ganze Dorf betrogen hat. Durch Tristan kann Jimmy an einer Familiengemeinschaft teilhaben, erfährt auch, wie das Dorf diese neue Familie herzlich aufnimmt, sie mit Spenden unterstützt und für sie kämpft. Und Jimmy steht nun auch vor der Frage, ob er bereit ist, für seinen besten Freund seine Ängste zu überwinden und sich für ihn einzusetzen.

„So fühlt sich das also an, dachte Jimmy, Teil einer großen Familie zu sein. Die Ibrahimis waren eine komplette Sammlung für sich.“

Lize Spit schreibt in „Der ehrliche Finder“ über Einsamkeit, Freundschaft, Vertrauen und Familienbande aus Kindersicht und verbindet dies mit den komplexen Themen Flucht, Migration und Integration. Die Perspektive erlaubt einen naiven, sorgenloseren Blickwinkel und gewährt damit aber auch mehr Menschlichkeit. Zudem wird eine Kluft zwischen den beiden Jungen thematisiert: der eine auf der Suche nach fehlenden Flippos für sein Sammelalbum – der andere auf der Suche nach Sicherheit und einem neuen Zuhause.

Fazit

Dem Sog, den dieser Roman hervorruft, konnte ich nicht widerstehen. Lize Spit hat mich mit ihrer eindringlichen Sprache, der mit jeder Seite wachsenden Tragik und dem drohenden Unheil am Ende gefangen genommen. „Der ehrliche Finder“ ist ein Roman, der mich auch nach der Lektüre nicht losgelassen hat und mich zu Neubetrachtung und Fragen angeregt hat.

Vielen Dank an vorablesen und den S.Fischer Verlag für das Leseexemplar.

Lize Spit „Der ehrliche Finder“. Roman

Aus dem Niederländischen übersetzt von Helga van Beuningen

S. Fischer Verlag, 2024, 128 Seiten

ISBN: 978-3-10-397564-2