Pures fifty shades of grey! – Und nein, ich meine nicht das, woran ihr gerade denkt!

In den Erzählungen von Co Winterstein findet sich keine Kurzgeschichte, die weder schwarz noch weiß ist, die weder das pure Gute noch das pure Böse aufzeigt. In ihren 9 Stories dominieren die vielen Grauschattierungen, mal heller, mal dunkler, und die Zwischentöne, mal leiser, mal lauter. Sie schreibt über das Leben zwischen den Extremen. Extrem sind bei ihr die Intensität und Gefühlstiefe der Geschichten.

Worum geht es?

Corinna Wintersteins Geschichten erzählen vom Museumswärter Nathan Kantereit, der sich in das Bildnis von Lise Tréhot verliebt, von Linnea und Jonah, die gemeinsam den Ort suchen, an dem Wolfgang Herrndorf sich erschoss, vom demenzkranken Arthur, der im Wald seinen Sohn zu sehen glaubt.
Wintersteins Figuren sind seltsame, schwierige, manchmal verschrobene Charaktere in entscheidenden Momenten ihres Lebens. Was sie verbindet, ist die Suche nach Liebe und Hoffnung und der Drang nach Freiheit und Emanzipation.

Co Winterstein hat das Studium der Soziologie, Philosophie und Pädagogik an der Universität Hamburg abgeschlossen. Sie hat Texte in Anthologien und Zeitschriften veröffentlicht. Am Rand, mit den Füßen im Nichts ist ihr Debüt. (Zusammenfassung der Autorin)

Wie fand ich es?

Jede einzelne Geschichte eröffnet auf kurze und prägnante Weise eine neue kleine Welt. Im Gegensatz zu Romanen ist gerade bei Kurzgeschichten die Konzentration auf das Wesentliche entscheidend. Winterstein reduziert die Geschichte auf ein oder zwei Protagonisten, lässt die Handlung über einen Morgen, einen ganzen Tag oder eine knappe Woche verlaufen. Nimmt schmückendes Beiwerk weg und kreiert doch eine volle atmosphärische Welt rund um ihre Figuren. Wir werden direkt in die Situation geworfen, in den jeweiligen Lebensabschnitt, an einen entscheidenden Lebenspunkt ihrer Figuren und stehen mit ihnen im grellen Scheinwerferlicht. Es sind Leben, die mit traumatischen Kindheitserinnerungen, mit Krankheiten, mit Ausgrenzung, mit Abkapselung, mit Vergessen und Verlust kämpfen. Und jeder Kampf geht unter die Haut. Besonders ist, dass die Handlungen weder Mainstreamcharakter haben noch in eine bekannte Schublade zu sortieren sind. Die Figuren sind individuell, authentisch und erzählen aus ihrem persönlichen Leben.

Ich habe jede Geschichte einzeln für sich gelesen, Pausen gemacht, um das Erzählte sacken zu lassen. Nicht jede Geschichte hat mich gleichsam berührt, aber jede war besonders. Die titelgebende Geschichte hat mich zum Grübeln über Grenzen in der Beziehung gebracht und hat meinen Standpunkt von einem kategorischen Nein, so nicht! mit Abwägen der Situation zu einem Vielleicht aufgeweicht. Winterstein beleuchtet die Beweggründe der Figuren und zeigt Verständnis für einander auf und den Willen zur Besserung. Nathan in „Sommer“ hat mich berührt und mich daran erinnert, dass man auch auf die stillen Menschen um sich herum achten sollte. Maja in „Profillicht“ hätte ich am liebsten umarmt und ihr versichert, nicht alle Menschen sind so. Irgendwann wirst du den richtigen finden, der dich so akzeptiert, wie du bist! Arthur in „Nach Süden“ hat mich traurig gestimmt, denn jede*r möchte doch sein*ihr Leben bis zum Ende bewusst auskosten können.

Was mir auch gefällt, ist, dass Winterstein Figuren jeden Alters eine Bühne gibt. Vom jungen verliebten Paar bis zum einsamen Witwer ist jede Generation vertreten. Ihre Sprache ist mal metaphorisch, mal direkt, fügt sich passend in die Geschichte ein.

Fazit:

Auf eindringliche Weise breitet Co Winterstein in ihrem Erzählband berührende, authentische Lebensschicksale vor den Leser*innen aus. Sie legt ihren Schwerpunkt auf die Nuancen dazwischen und zeichnet Bilder mit zahlreichen Grauschattierungen. Empfehlenswert!

Das Buch wurde mir freundlicherweise von der Autorin zur Verfügung gestellt, vielen Dank!

„Am Rand, mit den Füßen im Nichts“ Erzählungen

Co Winterstein

Taschenbuch, Januar 2022, 164 Seiten

BoD – Books on Demand

ISBN: 978 3755795032