Eva Gesine Baur „Maria Callas. Die Stimme der Leidenschaft. Eine Biographie“

Eva Gesine Baur „Maria Callas. Die Stimme der Leidenschaft. Eine Biographie“

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„Die Oper muss das Publikum weinen, erschrecken, entsetzen und sterben lassen durch das Singen‘, hatte Bellini gesagt. Die hier [Callas] konnte das.“

Ausnahmetalente führen in der Regel auch ein ausgenommen bewegtes Leben – sei es als Musiker, Schauspielerin, Schriftsteller oder Opernsängerin. Durch Eva Gesine Baurs Schilderungen lernen wir nicht nur das Leben der berühmten Opernsängerin Maria Callas kennen, sondern auch das der privaten Maria – zwei ganz konträre Persönlichkeiten vereint. Deutlich wird, dass ein solches Ausnahmeleben nicht zwischen den Extremen geführt wird, High- wie Lowlights prägen die Lebensweise, vereinen das Schrecklichste und das Wunderbarste ganz wie in einer antiken Tragödie. Für Maria Callas, eine ehrgeizige Frau, ist Mittelmaß nicht erstrebenswert. Schon als junge Teenagerin hatte sie das Ziel vor Augen, als Primadonna auf den berühmten Brettern, die die Welt bedeuten, zu singen und zu begeistern: in der Mailänder Scala, Arena di Verona, Met, Lyric Opera (Scala West), Theater des Westens, Wiener Staatsoper, Teatro Colón etc.

„Ich will das Beste von allem: Ich will, dass mein Mann der beste ist, ich will, dass meine Kunst die erste und beste ist. Ich will also alles haben. Sogar von dem, was ich anhabe, will ich, dass es das Hübscheste ist, was es gibt. Ich weiß, dass es nicht möglich ist … Ich bin so.“

Alles beginnt allerdings mit einer kalkulierenden Mutter in den 30er und 40er Jahren in Griechenland, die die Talente ihrer beiden Töchter ausnutzt, um ein unabhängiges, freies Leben zu führen. Ihr Plan: Ihre ältere Tochter Jacky durch ihre außergewöhnliche Schönheit mit einem reichen Mann zu verheiraten, der ihnen ein angenehmes Leben ohne finanzielle Sorgen ermöglicht. Mit Maria und ihrer außergewöhnlichen Stimme strebt sie Ruhm und Bedeutung für sich an. Die Mutter dosiert ihre Liebe, spielt ihre beiden Töchter gegeneinander aus, damit sie sie weiter steuern kann. Maria, die sich ein Leben lang danach verzehrt, von Menschen einfach nur Zuneigung und Liebe zu erfahren, findet im Singen Trost und Erfüllung, ist aber weiter von der Bestätigung ihrer Mutter abhängig. So steckt sie ihre gesamte Energie ins Singen. Trotz Armut, die ihre gesamte Kindheit prägt, erkämpft sie sich mit viel Arbeitseinsatz und Talent Stipendien für Gesangsunterricht bei den besten Lehrerinnen. Mit 13 Jahren ist sie entschlossen: Die Oper ist der Inhalt ihres Lebens.

„‚Sie durchlebt‘, schrieb die Kritikerin Alexandra Lalaouni, ‚diese Rolle bis zum Innersten ihrer Seele und überträgt die tiefsten Gefühle auf das Publikum.‘“

(Über Callas‘ Titelpartie in Puccinis Tosca mit gerade mal 18 Jahren)

Charakteristisch für Maria Callas ist die antike Tragödie sowohl auf der Bühne als auch für sie selbst, für ihr Leben. Sie singt die Titelpartien in Norma, Traviata, Turando, Tosca, Isolde, Lucia und gibt ihren Rollen Tiefe und Farbe, gibt ihnen Zerrissenheit. Mit ihrem dramatischen Instinkt, ihrer Bereitschaft für Leidenschaft und Leiden nimmt sie das Publikum mit, transportiert Glaubhaftigkeit und Emotionen – gleich einer Königin der Nacht. Dass ihre Stimme in der Opernwelt aber auch Kontroversen und Missgunst auslöst, zeigt ihr spätes Debüt an der Scala. Für ihre Intensität wird sie sowohl vergöttert als auch gehasst. Sie fordert alles von sich, verbeißt sich kompromisslos in die Proben, erfüllt ein sagenhaftes Arbeitspensum. Eine tragische Heldin ist sie allerdings nicht nur auf der Bühne. Maßhalten ist beim Studium der Partituren genauso wenig möglich wie in ihrem Privatleben. Ihr Stolz und ihre Sturheit zeichnen sie ebenso aus wie ihre Selbstzweifel und Ängste. Ein Leben lang ist sie auf der Suche nach Geborgenheit. Man schreibt ihr zu, einen Charakter aus Granit zu haben und wie ein Schwamm alles aufzusaugen. Ihre äußerliche Verwandlung und zunehmende Beliebtheit lassen sie zur Ikone aufsteigen.

„Die ungewöhnlich lange Pause, bevor der Beifall losbrach, war das Größte. Auch Franco Zeffirelli war zuerst unfähig, sich zu bewegen. Etwas Unerwartetes war geschehen: ‚Als es vorbei war, wussten wir, die Welt der Oper hatte sich verändert. Es gab nun so etwas wie eine neue Zeitzählung: v.C. und n.C. – vor Callas und nach Callas.‘“

Sie verändert, erneuert die Opernwelt, füllt nach dem Krieg wieder die Säle und ist Teil des Wirtschaftsaufschwungs. Durch zahlreiche Opernaufnahmen ermöglicht sie auch den Menschen zu Hause großes Drama. Walter Legges Tonbandaufnahmen der Tosca von 1953 werden durch Callas‘ extreme Hingabe wenig später als Jahrhundertaufnahmen bezeichnet.

„[…] die Königin des Pathos. Callas fürchtete Pathos nicht, die Tragödie lag in ihr, und für die war Pathos unverzichtbar. Und Callas zeigte allen, was Pathos vermochte. ‚Sie war ein ungeheures Phänomen‘, sagte Visconti. ‚Fast eine Krankheit.‘ Ansteckend und für viele furchterregend.“

Besonders fasziniert haben mich Baurs lebhafte Schilderungen der Auftritte und Reaktionen des Publikums. Bei jeder Premiere, jedem Vorhang habe ich das Gefühl, dabei zu sein, mit Callas mit zu fiebern. Sie verbildlicht die Ergriffenheit der Menschen durch Callas‘ Gesang und Ausdruck, deren Begeisterungsstürme, aber auch deren Buhrufe oder Pfiffe. Callas gelingt es, die antiken Stücke wiederzubeleben, sie in die Moderne zu transportieren und für die Menschen verständlich und gefühlsgewaltig zu machen.

„Plötzlich durchlief sie [Ingeborg Bachmann] ein Ruck wie bei einem Zusammenstoß. Auf der Bühne stand etwas, das sie dort noch nie erlebt hatte: ein Mensch. Ein gefährlicher Mensch, fand sie, so extrem gegenwärtig, dass niemand entkommen konnte. Was geschah hier mit ihr? Die Erkenntnis überfiel sie schlagartig aus dem Nichts. ‚Alles an dieser Callas war groß. Groß war ihr Hass, ihre Liebe, ihre Zartheit, ihre Brutalität‘, groß war jede Bewegung, jede Geste, jeder Schrei. Die junge Österreicherin weinte und schämte sich ihrer Tränen nicht.“

Fazit

Wer sich für den Kunst- und Kulturbetrieb interessiert sowie für das Zeitgeschehen, kann mit „Maria Callas“ nichts falsch machen. Die Begeisterung für Opern, für die außergewöhnliche Stimme der Maria Callas erwacht beim Lesen. Ihre Leidenschaft, Intensität und Pathos hat Baur in dieser Biografie ein Denkmal gesetzt, allerdings nicht ohne auch die fatalen Seiten der Callas, des Kulturbetriebs und die zeitlichen Umstände kritisch zu beleuchten. Maria Callas ist ein Phänomen, das mich in ihren Bann gezogen hat. So schade, dass ich nicht die Möglichkeit hatte, diese Jahrhundertsängerin leibhaftig zu erleben.  

Vielen Dank an der C.H. Beck Verlag für das Leseexemplar.

Eva Gesine Baur „Maria Callas. Die Stimme der Leidenschaft“ Eine Biographie

C.H. Beck Verlag, 2023, 507 Seiten

ISBN: 978-3-406-79142-0