Jojo Moyes „Die Frauen von Kilcarrion“

Jojo Moyes „Die Frauen von Kilcarrion“

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3 Frauengenerationen + 3 Lebensentwürfe = Missverständnisse, Konflikte und Geheimnisse

Oftmals ist es ja so, dass Töchter die Lebensweise ihrer Mütter entweder adaptieren oder ablehnen und komplett umkrempeln. Bei einer Adaption wäre die Geschichte schnell erzählt. Moyes kreiert in ihrem Debütroman (ET 2002, NÜ 2021) ein Spannungsfeld zwischen Müttern und Töchtern, zwischen festen Abläufen und Regeln und unbegrenzte Freiheit, aber auch zwischen unerfüllbaren Erwartungen und der Sehnsucht nach Akzeptanz und Anerkennung. Ein Familiendrama, das auf Geheimnissen und viel Unausgesprochenem basiert.

Worum geht es?

Kates Verhältnis zu ihren Eltern war immer schwierig. Als junge Frau hat sie Irland verlassen, unverheiratet und schwanger, um in London neu anzufangen. Bei ihrer eigenen Tochter wollte sie alles besser machen. Kates unstetes Leben jedoch belastet die Beziehung zu der mittlerweile sechzehnjährigen Sabine. Als die Kluft zwischen ihnen immer größer wird, macht sich Sabine auf den Weg nach Irland, um auf Gut Kilcarrion ihre Großmutter kennenzulernen. Joy freut sich darauf, ihre Enkelin zu sehen. Sie hofft, dass sie zu ihr die Verbindung aufbauen kann, die sie zu ihrer Tochter Kate so schmerzlich vermisst. Aber Sabines unbefangene Art wirbelt das Leben auf Kilcarrion durcheinander und zwingt Joy, sich ihrer Vergangenheit zu stellen. Gut gehütete Geheimnisse kommen ans Licht. Und alle drei Frauen müssen sich fragen, ob sie bereit sind, zu verzeihen und die Wunden der Vergangenheit heilen zu lassen. (Klappentext des Verlags)

Wie fand ich es?

Über Rückblicke lernen wir Joy (Mutter von Kate, Oma von Sabine) kennen. Sie wächst in der britischen Kronkolonie in Hongkong der 1950er Jahre auf, vermeidet gesellschaftliche Feiern, findet auf dem Rücken der Pferde ihre Freiheit. Als sie den jungen Offizier Edward trifft, der ganz anders ist als die heiratswilligen Männer, die ihr bisher aufgedrängt wurden, verliebt sie sich, 2 Tage später sind sie verlobt. Mit ihm reist sie um die Welt, lebt auf verschiedenen Kontinenten und findet Heimat auf dem irischen Hof Kilcarrion.

Joys Tochter Kate hat mit 18 hochschwanger den elterlichen Hof verlassen und lebt nun als Journalistin in wechselnden Beziehungen in London. Sie hat sich von ihren Eltern missverstanden und ungeliebt gefühlt, eingesperrt in unerfüllbare Erwartungen. Dieses Gefühl, das sie bis heute prägt,  verbunden mit der Flucht in ihrer Kindheit über Kontinente aufs irische Land überschattet ihr Leben und Glück. Der Kontrast zwischen Mutter und Tochter könnte nicht größer sein: Landleben vs. Großstadt, scheinbare liebevolle lange Ehe vs. wechselnde Partner, feste Regeln vs. ungezügelte Freiheiten. Jedoch haben beide Frauen gemein, dass sie sich vorgenommen haben, ihren Kindern ein glücklicheres Leben zu ermöglichen, ein besseres Vorbild zu sein als deren Eltern – sie scheitern jedoch an ihren Ansprüchen.

Deutlich wird dies auch an Sabine, die unter dem freien Leben ihrer Mutter und den fehlenden Strukturen leidet. Freiheit, Trubel, viele unstete Beziehungen, abwesender bzw. unbekannter Vater führen bei Sabine zu einem emotionalen Rückzug, zu spitzen Stacheln und scharfer Zunge. Ihr fehlt eine Konstante, an die sie sich festhalten kann.

„Offenkundig war es früher ein prachtvolles Haus gewesen, prächtiger als jedes andere, in dem sie je gewesen war. Aber es wirkte irgendwie erschöpft, im Niedergang, wie ein Mensch, der sich um nichts mehr gekümmert und nur noch auf eine Gelegenheit wartete, sich zu verabschieden. Es sieht aus, wie ich mich fühle, dachte Sabine.“

Die Geschichte kommt durch Sabine ins Rollen, die aufgrund einer weiteren Trennung Kates Zeit auf dem elterlichen Hof verbringen soll. Und wie Teenager eben so sind, wollen sie allem auf den Grund gehen, bohren in der Vergangenheit und kramen in alten, längst vergessenen Fotos. Ein vergrabenes Geheimnis von Joy und Edward, das Kate als Kind sehr belastet und ausgeschwiegen wurde, führt zu einer Aussprache zwischen Mutter und Tochter. Die Bedeutung von einander zuhören, versuchen zu verstehen und verzeihen wird sehr wichtig. Deutlich wird auch: Beziehungen sind nicht einfach und bedürfen Pflege und Arbeit.

Authentisch wirkt in diesem Roman auch die Familie der Haushälterin, in der Liebe und Zuneigung herrschen im Gegensatz zur eisigen Stimmung auf Kilcarrion. Sie werden nicht als Musterbeispiel einer intakten Familie herangezogen, sondern müssen selbst Schicksalsschläge und Hürden überwinden.

Fazit

Moyes hat ein beeindruckendes Debüt hingelegt (in Neuübersetzung von Karoline Fell, 2021, Rowohlt Verlag)! Vielleicht an einigen Stellen etwas zu ausschweifend, aber alles in allem eine fließende, gefühlvolle Sprache, Rückblicke, die die Figuren vervollständigen, eine spannende Familiengeschichte – und das alles ohne rosarote Brille und Blümchenmuster.

 

Jojo Moyes

Die Frauen von Kilcarrion

Hörbuch, gekürzte Lesung, gesprochen von Luise Helm

Neu übersetzt von Karolina Fell, Argon Verlag, 30.03.2021

Taschenbuch erschienen im Rowohlt Verlag.

— selbst erworbenes Hörbuch —