Liebe liegt in der Luft.

King entfacht in ihrem Erzählband „Hotel Seattle“  zahlreiche Emotionen. Ich fühlte mich verliebt, umworben und begehrt, aber auch traurig, bedrängt und enttäuscht – ein Gefühlskarussell, wunderbar komponiert.

Worum geht es?

Eine Vierzehnjährige verknallt sich in einen verheirateten Mann und träumt von der großen Romantik, bis sie erfahren muss, dass Liebe und Lust zwei einander entgegengesetzte Dinge sein können. Ein junger Mann outet sich und verliert daraufhin seinen besten Freund, dessen Unsicherheit in Aggression umschlägt. Eine Frau kämpft damit, die Abweisung ihrer Teenager-Tochter zu ertragen und fühlt sich dabei so einsam wie nie, doch die Verbindung einer Mutter zu ihrem Kind kann so leicht nicht erschüttert werden. Lily Kings Erzählungen sind berührend, überraschend, hoffnungsvoll – und zum Glück auch ein wenig romantisch. (Verlagstext)

Wie fand ich es?

King erfasst die Situation, liest in ihren Figuren und kann in den relativ kurzen 10 Erzählungen Gefühle und Beweggründe ausdrücken und den Leser*innen wunderbar vermitteln. Sie beschreibt große Glücksgefühle und dunkle Tiefpunkte, schreckliche Schicksalsschläge und tiefe Enttäuschungen stehen neben Freude, erfüllte Liebe und Zuversicht. Jede Geschichte ist eine Auszeit vom eigenen Leben. Die Emotionen der Figuren sind real und zeigen uns farbenreiche Gefühlswelten auf. Am Ende ist jedoch ein Streif am Horizont zu erkennen – kein fantastisches Happy End, sondern ein Ausweg, der Hoffnung macht.

‚Oh, diese glänzenden Knie und der lange Pferdeschwanz von Celia Washburn‘, seufzte Ed. ‚Und, hat Amors Pfeil dich auch schon getroffen?‘ – Natürlich hatte er das. Ich war hoffnungslos verliebt. Aber ich schüttelte den Kopf.

Die erste Erzählung der deutschen Ausgabe „Kreatur“ versetzt uns in unsere Teenagerzeit, in den Sommer unserer ersten Schwärmerei. King schreibt so realitätsgetreu, als wären wir dabei, verliebten uns mit Carole zum ersten Mal, lägen neben den Kids am Pool und verwandelten uns am Ende ebenfalls zur Kreatur, fänden so zu uns selbst. Lebensnah, ohne zu blass oder langweilig zu klingen, erfasst King Situationen, Ausschnitte aus dem Leben. Wir erkunden tolle, alltägliche Orte und lernen verschiedenste Menschen und ihre Gefühlswelt kennen. Zu jeder Figur lässt sich eine Verbindung aufbauen.

Liebe, dachte er. Es würde noch früh genug herauskommen. Worte und Gefühle wirbelten in seiner Brust herum, fanden zueinander wie versprengte Atomteilchen. Er versuchte nicht, sie voneinander fernzuhalten oder zu unterdrücken. Er war erfüllt und ließ alles in diese neuen Fülle schweben.

In meiner favorisierten Erzählung „Fünf Dienstage im Winter“, Titelstory der englischen Ausgabe, erfährt der misanthrope Buchhändler Mitchell nach einsamen Jahren endlich die wahre Liebe. Zunächst wagt er vor Angst vor Enttäuschungen nicht, seiner Mitarbeiterin Kate näher zu kommen. Schließlich öffnet er sich ihr und erkennt, dass sie ihn so liebt, wie er ist. King schafft es, ohne Schmalz und Rührseligkeit von Liebe zu schreiben. Ihre Sprache ist frisch wie ein Sprung an heißen Sommertagen in den kühlen Pool und wärmt wie ein knisternder Kamin in der Winterzeit. Sie schreibt klar, fließend, eingängig.

Es fühlte sich an, als würde er platzen. Er hatte in Romanen über dieses Gefühl gelesen, aber war sich sicher, es nie zuvor erlebt zu haben.

Schwerpunkt der Emotionen ist die Liebe, Liebe in all ihren schönen und schrecklichen Facetten: die schwärmerische Liebe, die erste Liebe, die einzig wahre Liebe, bedingungslose Liebe, späte Liebe, unerwiderte Liebe, zerstörerische Liebe, gescheiterte Liebe, gleichgeschlechtliche Liebe, verlorene Liebe, stürmische Liebe, verbotene Liebe, enttäuschte Liebe, trostlose Liebe, Mutterliebe, Geschwisterliebe… Und wer bei dieser Aufzählung nicht eingeschlafen ist, der sollte sich schnellstmöglich diesen Erzählband kaufen!

Fazit

Auch wenn nicht jede Erzählung mich gleichermaßen fesseln konnte, ist es doch ein wunderbar gefühlvoller Band. Einfach: Lesenswert.

Vielen Dank an den C.H. Beck Verlag für das große Lesevergnügen und das Leseexemplar!

Lily King

Hotel Seattle. Erzählungen

Aus dem Englischen von Hanna Hesse

C.H. Beck Verlag, 2022, 252 Seiten, Hardcover

ISBN: 978-3-406-79101-7