Sofia Lundberg, Alyson Richman und M.J. Rose „Hilma“

Sofia Lundberg, Alyson Richman und M.J. Rose „Hilma“

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Die historische Person Hilma af Klint (1862–1944) war eine beeindruckende innovative Künstlerin der Jahrhundertwende, die durch die in dem Roman aufgegriffene Ausstellung im Guggenheim Museum 2018 in New York City dem breiten Publikum bekannt wurde. Sie schuf besonders zum Ende des 19. und in den Anfangsjahren des 20. Jahrhunderts farbgewaltige Werke mit einer symbolträchtigen Sprache und gilt als Pionierin der abstrakten wie der mystischen Kunst.

Besonders schön ist es daher, dass sich das Autorinnentrio Sofia Lundberg, Alyson Richman und M.J. Rose auf Spurensuche begibt und versucht, das Leben der Künstlerin zu rekonstruieren. In diesem historischen Roman greifen sie das Bekannte um die Person Hilma auf und füllen die Wissenslücke und unbeantwortete Fragen kreativ auf.

Worum geht es?

Eine schwedische Malerin um 1900 und ein Kurator im heutigen New York: Ein mitreißender Roman über die unsterbliche Kraft großer Kunst.

Stockholm 1896: Die Malerin Hilma af Klint hat genug von künstlerischen und gesellschaftlichen Konventionen. Sie will anders leben, anders lieben und auch in der Kunst radikal neue Wege gehen. Jeden Freitagabend trifft Hilma ihre vier engsten Freundinnen, um gemeinsam die Grenzen der Kunst zu sprengen. In Séancen suchen die unkonventionellen Frauen den Austausch mit der Welt jenseits des Sichtbaren. Ihre Zeitgenossen halten sie für verrückt. Doch Hilma af Klint gelingt etwas Spektakuläres: Sie erfindet die abstrakte Kunst, und das lange vor Kandinsky oder Mondrian.

Ein Jahrhundert später soll ein talentierter, aber einsamer Kurator eine Ausstellung mit Hilmas Werken im weltberühmten Guggenheim-Museum in New York organisieren. Während der Recherche trifft er seine vor langer Zeit verlorene große Liebe wieder, die ihm den Schlüssel zum Erfolg der Ausstellung liefert – und vielleicht auch zu seinem Glück. (Verlagstext)

Wie fand ich es?

Diese Romanbiografie spielt auf zwei Zeitebenen. Im Heute begegnen wir dem New Yorker Eben Elliot, stellvertretender Kurator im Guggenheim Museum, der in Stockholm auf das Werk von Hilma aufmerksam wird. So gefesselt von ihrer Strahlkraft widmet er ihr schließlich eine Retrospektive. Als jemand, der gerne den Dingen auf den Grund geht, versucht er die Lücken und unbeantworteten Fragen im Leben der Künstlerin zu erforschen und findet so auch Antworten auf seine eigenen Leerstellen. 1896 setzt der Roman bei Hilma und ihre engsten Freundinnen Anna, Cornelia, Mathilda und Sigrid ein. Sie vereint der Wunsch, ihre künstlerischen Grenzen zu erweitern, über die Alltagsnormen hinauszuwachsen, Antworten auf die Fragen des Universums zu finden. In Séancen bitten sie als De Fem (Die Fünf) die Geister um Anhörung und Führung. Beeinflusst von ihren spirituellen Beschwörungen kreieren Hilma, Anna und Cornelia einen abstrakten Bildzyklus, „Gemälde für den Tempel“, der durch runde Formen, Spiralen und Kreise, durch imposante Farbkombinationen aus der Zeit fällt und die abstrakte Malerei begründet.

„‚Es ist meine Überzeugung, dass wir hier alle gleich sind. Wir sind fünf Frauen auf der Suche nach der Weisheit. […] Dafür verlangt man kein Geld.‘ ‚Liebe und Wissen sollten immer kostenlos sein‘, stimmte Anna ihr [Mathilda] zu.“

Ein Spannungsfeld dieser Zeit ist Hilmas freie Lebensweise, ihr Selbstverständnis als Künstlerin und die Betonung ihrer männlichen wie weiblichen Energie. Konflikte entstehen somit zwangsläufig durch ihre Ablehnung der gesellschaftlich anerkannten Rolle als Ehefrau, Mutter und Hausfrau, das Tragen von Männerkleidung sowie Hilmas und Annas Liebe füreinander. Auch wenn Frauen Ende des 19. Jahrhunderts bereits für das Kunststudium zugelassen wurden, hatten sie doch selten die Möglichkeit, ihre Werke auszustellen und von ihrer Kunst zu leben. Trotz Hilmas Begabung, Zielstrebigkeit und Kreativität wurden ihre Arbeiten sowie die der anderen Künstlerinnen nicht wertgeschätzt. Ein Grund, ihre neuartigen Kreationen, die im Rahmen der spirituellen Sitzungen mit De Fem entstanden, „Bilder der Zukunft“, zurückzuhalten, bis die Welt für sie bereit ist.

Der Roman bzw. die Übersetzung von Karin Dufner ist sehr leicht zu lesen, eine angenehme Sprache, die das Thema Kunst widerspiegelt. In den Figurenbeschreibungen, der Ausdrucks- und Sichtweise der Figuren schwingt eine farbliche und künstlerische Sprache mit, die mich direkt in das Geschehen transportiert und den Figuren nahe bringt.

„Doch während Hilma eine Lebenskraft verbreitete, die man mit Händen greifen konnte, wirkte Anna ätherischer, ähnlich einem Lufthauch oder fließendem Wasser. Man nahm sie wahr wie eine Farbe, die man nicht recht beschreiben konnte und dennoch rings um sich spürte.“

Das Autorinnentrio verherrlicht weder Hilma noch die anderen Frauen noch Eben. Sie machen Fehler, denken und handeln egoistisch, laufen vor der Wahrheit weg oder können sie nicht aussprechen. Neben der Kritik zur gesellschaftlichen Stellung der Frau wird auch der heutige wie damalige Kunstbetrieb ohne rosarote Brille betrachtet. Dass Kunsthistoriker*innen falsche Annahmen stellen, Werke fehlerhaft zuschreiben, wird angeregt.

Was den Roman rund macht, sind die Parallelen und Verbindungen zwischen den beiden Zeitebenen, sowie auch die Wiederholungen Hilmas Motive in Kunst wie Architektur. Und schließlich auch auf der Ebene Autor*in und Text die Parallele im Arbeitsprozess: eine Gruppe von Frauen erschafft ein Kunstwerk.

„Ich sehe es so, dass das Vermächtnis mancher Menschen ihre Kinder sind. Bei anderen sind es ihre Melodien, ihre Worte oder ihre Kunstwerke. Jedenfalls haben wir Menschen stets das Bedürfnis, etwas von uns auf dieser Erde zurückzulassen, das einen Beitrag zur Zukunft leistet.“ (Anna zu Hilma)

Fazit

So hätte es sein können oder auch ganz anders. Das Autorinnentrio gestaltet ein Bild von Hilma und De Fem sowie der heutigen Kunstrezeption. Eine leicht zu lesende Romanbiografie über eine viel zu wenig diskutierte und ausgestellte Künstlerin der Jahrhundertwende. Farbgewaltige Lektüre

Vielen Dank an den Piper Verlag für das Leseexemplar.

Sofia Lundberg, Alyson Richman und M. J. Rose „Hilma“

Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Karin Dufner

Piper Verlag, 352 Seiten, 2023

ISBN 978-3-492-07139-0