Lydia Mischkulnig „Die Gemochten“

Lydia Mischkulnig „Die Gemochten“

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„Die Gemochten“ und ich – wir werden leider keine Freunde.

Ich bin mit so positiven Gefühlen und einer freudigen Erwartung an diesen Erzählband herangetreten, denn im Klappentext heißt es so schön: „Sie sind Liebende oder Fremde – Gemochte in jedem Fall – die Figuren von Lydia Mischkulnig […] vollführen einen Beziehungstanz zwischen Annäherung und Entfremdung, zwischen dem Offensichtlichen und dem Unausgesprochenem.“ Das klang für mich nach spannenden, tiefblickenden, gefühlsstarken Figuren mit Liebe in all ihren Facetten. Beim Aufschlagen des Buches strahlte mir auch eine zuckersüße Widmung entgegen, die die positiven und negativen Seiten der Liebe widerspiegelt. Und was ich eben erwartet habe, dass diese in den Erzählungen aufgegriffen werden würden.

„Ich möchte dir sagen, wie sehr ich dich mag. Und es wird schlimmer Tag für Tag.“

Nach einem langgezogenen Awww blätterte ich dann zum Inhaltsverzeichnis um. Die erste Kurzgeschichte trägt den Titel Ahhhhhhhh. Das war für mich ein Zeichen, dass ich hier genau richtig bin – tja, falsch gedacht! Gerade diese 6-seitige Story hat mich komplett verwirrt, irritiert und leicht verärgert. Ich habe sie bestimmt zwei-/dreimal gelesen und weiß immer noch nicht, worum es geht und was sie mir sagen will. Für einen Auftakt war das leider sehr ernüchternd. Die nächsten Storys wurden zwar verständlicher, ich konnte einen Handlungsaufbau ausmachen, Figuren und Orte erkennen, der rote Faden ist aber auch da kein Thema. So richtig gerne gelesen und gemocht habe ich keine der Erzählungen.

Worum geht es?

Sie sind Liebende oder Fremde – Gemochte, in jedem Fall, die Figuren von Lydia Mischkulnig: Mutter und Tochter, Ehepaar, Geliebte, Unbekannte. Sie begegnen sich in neu bezogenen Wohnungen, in Restaurants, im Sesselkreis und in Stundenhotels, vollführen einen Beziehungstanz zwischen Annäherung und Entfremdung, zwischen dem Offensichtlichen und dem Unausgesprochenen im politisch geprägten Alltag. Alle eint eine tiefe Sehnsucht nach Beständigkeit in unbeständigen Zeiten, sie leben in Angst und Sorge, fremdeln mit der modernen Gesellschaft. Ihre Versprechen lösen sich auf, sobald sich schwelende Geheimnisse und Manipulationen offenbaren.

Lydia Mischkulnig ist eine Meisterin der kurzen Form und kuriosen Begebenheiten. Lustvoll dringt sie in ihren Erzählungen durch die Decke der Angepasstheit und offenbart die Abgründe ihrer Figuren mit leichtfüßiger Sprachkunst. So schafft sie ein originelles Panoptikum der »Gemochten«, die in ihren verschrobenen Leidenschaften zutiefst liebenswürdig sind. (Verlagstext)

„Wo liegt das Problem?“

Ich glaube nicht, dass die Storys an sich schlecht geschrieben sind. Die Konstellationen der Figuren, der Themen haben Potenzial, haben mich so aber auf keine Weise angesprochen. Ich habe keine romantische Liebesgeschichte erwartet á la Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage. Nein, absolut nicht. Denn wenn es um Liebe geht, kann es ja so viel mehr sein, eine unerwiderte Liebe, eine gescheiterte Liebe – und gerade diese Verzwickungen machen eine gute Kurzgeschichte aus. Ich schätze, der Autorin und mir fehlte eine gewisse Basis, der gemeinsame Nenner. Für mich ist Mischkulnig zu verkopft an die Liebe herangegangen. Wollte sie zu viel? Vielleicht war ihr literarischer Anspruch im Weg? Klar ist, die Charaktere sind unnahbar, der Erzähler schwer auszumachen, der rote Faden nicht vorhanden. Für mich hat sie die modernen Themen freie Liebe, das Ausbrechen aus den Normen, Bisexualität, Polyamorie zu steif, zu konstruiert dargestellt. Die Abstecher in theoretische Kurzexkurse oder andere gedankliche Abschweifungen haben mich weiter davongejagt.

In einer Story wird von der modernen Liebe außerhalb der Normen gesprochen, von der Unbedeutenheit vorgefertigter Geschlechterrollen. Wichtig soll schließlich nur sein, dass man als Mensch (sie: „menstruierender Mensch“) wahrgenommen wird – egal welche körperlichen Geschlechtsmerkmale man trägt. Nur diese Gespräche über die Identität, die Zuordnungen haben am Ende genau dahingeführt. Nach einer anfänglichen freien Liebe, festgelegt als polyamore Liebschaft, offenbarte sich dann das eigentliche Bild: Eine klassische Dreiecksgeschichte mit verheiratetem Ehemann, der über Jahre seine Ehefrau mit seiner Geliebten betrügt. Mischkulnigs Anspruch, Liebe im modernen Mantel zu verpacken ohne Zwänge oder Verpflichtungen, führte für mich zum Gegenteiligen.

In der titelgebenden Kurzgeschichte „Die Gemochten“ geht es um zwei, die mitten im Leben stehen, die sich aber gezwungen sehen oder finden sie gerade das aufregend (?), nach außen hin, für die Menschen in ihrer Umgebung ein existentes bzw. abenteuerliches Sexualleben zu simulieren. Die wöchentlichen Treffen im Stundenhotel werden den Kollegen unter die Nase gerieben, der Champagnerkorken wird für alle sichtbar mit großer Geste in den Mülleimer geworfen, die gewaschene Unterwäsche des Partners für die Nachbarn auf die Leine gehängt. Ich habe mich gefragt, muss das sein? Wo liegt der Sinn dahinter. Zumindest gab es eine schöne Erklärung für den Titel, leider wieder sehr kopflastig:

„Die Akteure sind einander Gemochte. Jede Woche finden sie sich hier ein. Nicht um einander zu lieben, sondern um einander zu mögen. Das kann auch leidenschaftlich sein.“

Deutlich wird der Unterschied der beiden Begriffe im folgenden Satz: „Sie [Egons Exfrau] hat ihn geliebt, hat sie gesagt, aber nie gemocht.“ Im Umkehrschluss: Liebe allein reicht nicht aus. Das ist leider dann aber auch das gefühlvollste, was man aus dieser Geschichte ziehen kann. Daneben gibt es nur noch theoretische Abschweifungen, Gedankensprünge, kurze Sätze, die so abwegig sind, dass man sie mehrfach lesen muss und den Sinn dahinter immer noch nicht versteht.   

Fazit

Obwohl es um die Liebe in all ihren schönen und hässlichen Facette gehen sollte, um Leidenschaft und Zuneigung, ist bei mir keine Liebe aufgekommen. Nach der Hälfte der Kurzgeschichten habe ich abgebrochen.

Der Erzählband und ich werden weder Freunde noch Gemochte noch Liebende. Diesmal leider nicht.

Vielen Dank an buchcontact und den Leykam Verlag für das Leseexemplar.

Lydia Mischkulnig „Die Gemochten“

Leykam Verlag, 2022, 176 Seiten

ISBN: 978-3-7011-8252-7