Nicole Seifert „Einige Herren sagten etwas dazu. Die Autorinnen der Gruppe 47“

Nicole Seifert „Einige Herren sagten etwas dazu. Die Autorinnen der Gruppe 47“

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Wie viele Schriftstellerinnen der Nachkriegszeit könnt ihr sicher benennen? Im Vergleich zu den bekannten männlichen Kollegen sind es wahrscheinlich deutlich weniger. Warum das so ist? Nicht weil es zu wenige schreibende Frauen gab. Nicht weil sie nicht gut und wichtig waren. Nicht weil ihre Texte nicht literaturfähig waren. Nicht weil die Schriftstellerinnen keine Ambitionen hatten. Sondern weil Frauen gerade nach den Kriegsjahren nur eine Rolle zugeschrieben wurde, die der Mutter und Ehefrau. Und Frauen, die sich ihren eigenen Weg suchten, kreativ arbeiteten, wurden nicht ernst genommen, belächelt und ausgegrenzt. Sie standen vor nicht wenigen Hürden: Akzeptanz männlicher Kollegen, Wertschätzung ihrer Literatur, männlich geprägter Literaturbetrieb, männlicher Literaturdiskurs, Reduzierung auf weibliche Sichtweise (Frauenliteratur), Misogynie, fehlende Vorbilder. Nicole Seifert deckt in „Einige Herren sagten etwas dazu“ am Beispiel der Gruppe 47 mit hohem Rechercheaufwand den steinigen Weg deutschsprachiger Schriftstellerinnen der Nachkriegszeit auf.

„Es geht also um zwei verschiedene Sphären, in denen der Frau zwei verschiedene Funktionen zugewiesen werden: Der Kunst dient sie als unverzichtbares Sujet, hier wird sie als Objekt gebraucht und muss faszinierend sein. Im wahren Leben soll sie jedoch ihre dienende Rolle beibehalten und in der Kunst keine Konkurrentin werden. Sie soll Muse sein, nicht Künstlerin.“

Die Gruppe 47, gegründet 1947 von Kriegsheimkehrern, bekannt für ihre Kahlschlagliteratur, also für Texte, die nicht an die kürzliche Vergangenheit anknüpfen und somit das Kriegsgeschehen nicht aufarbeiten, hat viele bekannte Stimmen hervorgebracht, wie Günter Grass, Heinrich Böll, Günter Eich, Martin Walser. Gleichzeitig hat die Gruppe aber auch viele gute und kreative Menschen unterdrückt. Seifert verknüpft Tagebucheinträge, Zeitzeugenberichte, Zeitungsartikel, Chroniken, Briefe von Mitgliedern und Gästen zu einem Beleg dafür, wie die Gruppe unverblümt die Texte von Autorinnen schlecht redete, sie ablehnte und die Frauen zum Objekt machte. Der Kopf und Chronist der Gruppe Hans Werner Richter zeigt in seinen Berichten offen sein Missfallen schreibenden Frauen gegenüber, deutet sogar die Geschichte der Gruppe um und schmälert oder negiert die Leistungen beispielsweise von Barbara König und Gisela Elsner, deren Texte allein aufgrund ihres Geschlechts abgewertet wurden. Viele andere Mitglieder äußerten sich ebenfalls negativ. Marcel Reich-Ranicki behauptete sogar, Frauen läge Lyrik mehr als Männern, aber sie seien nicht in der Lage, große Gesellschaftsromane zu schreiben.

„Geschlecht war nicht nur eine Kategorie der Literaturkritik, es war eine diskriminierende Kategorie, die ganz wesentlich über Erfolg und Misserfolg mitentschied.“

Seifert wirft einen Blick auf einen bisher wenig für das breite Publikum beschriebenen Literaturbetrieb und deckt in ihrem ausführlich recherchierten Buch unglaublichen Frauenhass, Ausgrenzung, Diffamierung, Dämonisierung, Sexualisierung auf. So ist es kein Wunder, dass wir heute nur wenige Nachkriegsliteratinnen kennen. Ingeborg Bachmann und Ilse Aichinger stellen die weiblichen Ausnahmen dar. Allerdings brachten sie und viele Kolleginnen – in der Zeit häufig auch aufgrund ihrer besseren akademischen Bildung – eine neue Perspektive ein, hielten sich nicht an die männlich geprägten Regeln und Sichtweisen und haben literarisch Neues gewagt, wofür sie sich nicht nur mit Hass und Häme konfrontiert sahen. Ilse Schneider-Lengyel erntete für ihren Surrealismus Unverständnis, über Ilse Aichingers Werk wurde geschwiegen, Gabriele Wohmann wurde für ihre Texte über das vermeintlich rein Private belächelt, Bachmanns Prosa wurde die Relevanz abgesprochen.

„Jede Frau erfährt Gegenwind und Kritik. Außergewöhnliche Frauen erfahren besonders viel davon. Und diese Kritik existiert immer in einem sexistischen Kontext, genauso wie alles andere im Leben einer Frau.“ Jia Tolentino

Es hat mich schockiert, dass so viele großartige, berühmte Schriftsteller so abschätzig über ihre Kolleginnen sprachen, sie ihnen Verstand und schriftstellerisches Können aberkannten, sie lieber zum Lustobjekt machten. Genauso schlimm ist es, dass die Literaturkritik und die Verlagswelt (Zeit, Spiegel!) diesen Grundtenor aufgriffen und weiterführten, sodass es Künstlerinnen noch schwerer gemacht wurde, sich im Literaturbetrieb dauerhaft zu behaupten. Warum konnten sie sie nicht als Bereicherung des literarischen Spektrums anstatt als Bedrohung verstehen?

Fazit

Nicole Seiferts Buch liest sich wie ein Krimi – nur ohne Happy End (die Gewalttäter wurden nicht belangt).

Diese Lektüre erschreckt, schockiert, stimmt traurig. Denn man muss sich nur mal vorstellen: Was hätten wir heute für eine bunte Welt, wenn die Schriftstellerinnen damals Rückenwind erfahren hätten und ihre Werke anstatt ihre Person und Lebensweise diskutiert worden wären. Was uns nicht alles entgangen ist! Eine Wow-Lektüre mit großer Leseempfehlung!!!

Vielen Dank an den Kiepenheuer & Witsch Verlag für das Leseexemplar.

Nicole Seifert „Einige Herren sagten etwas dazu. Die Autorinnen der Gruppe 47“

Kiepenheuer & Witsch Verlag, 2024, 352 Seiten

ISBN: 978-3-462-00353-6