Norbert Maria Kröll „Die Kuratorin“

Norbert Maria Kröll „Die Kuratorin“

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Ingenious and fresh – genial und erfrischend passt zu Norbert Maria Krölls Hauptfigur Regina Steinbruch in „Die Kuratorin“.

Karriereorientiert, selbstbewusst, ehrlich sind nicht per se schlechte Charaktereigenschaften. Übertragen auf die Hauptfigur Regina kann man eher von gnadenlos karriereorientiert, übertrieben selbstbewusst und brutal ehrlich sprechen. Hinzu kommen noch machthungrig, rücksichtslos, beleidigend. Kröll hat somit eine zutiefst negative Hauptfigur und Icherzählerin geschaffen. Regina verfolgt ihre beruflichen Ziele, hat den Posten der Direktorin im Auge, sagt, was sie denkt, und nutzt jede Gelegenheit, ihren Kopf durchzusetzen. Sie ignoriert die Privatsphäre anderer und zwischenmenschliche Anstandsregeln. Sie ist absichtlich asozial. Bei dieser Beschreibung fragt sich wahrscheinlich der ein oder die andere, wo liegt dann die Genialität, denn neu sind unsympathische Figuren, der böse, gebrochene Held ja nicht?

Worum geht’s?

Als Kuratorin eines renommierten Museums sorgt Regina Steinbruch für Aufsehen in der Kunstwelt. Sie ist Karrierefrau durch und durch; um ihre Ziele zu erreichen, geht sie rücksichtslos ihren Weg – flink vorbei an den verachteten männlichen Kollegen. Als Regina bei einem One-Night-Stand schwanger wird, gerät ihre Welt aus den Fugen, und selbst, als sie entscheidet, das Kind ihrer besten Freundin zur Adoption zu übergeben, findet sie nicht zur Ruhe. Baby Toms unwiderstehlicher Geruch bringt die knallharte Fassade der Kuratorin zum Bröckeln und Stück für Stück tritt ein empfindsamer und verletzlicher Mensch in Erscheinung. (Verlagstext)

Wie fand ich‘s?

Gerade am Anfang der Geschichte stand mir ab und an einfach der Mund offen vor Erstaunen und Unglauben. Gedanken wie „Das hat sie gerade nicht gesagt, oder?“, „Verrückt!“, „Wie gemein!“ gingen mir so oft durch den Kopf. Ich war echt geplättet. Ihre Schlagfertigkeit, ihr Wortwitz, ihre klugen, aber auch grenzüberschreitenden Kommentare gegenüber anderen wie zu sich selbst bringen vor allem Leichtigkeit in das harte Thema Frauen im Kunst- und Kulturbetrieb.

„Sag mal, bin ich die erste Erwachsene, mit der du in deinem Leben sprichst?“

„Nein“, sagt er mit säuerlichem Lächeln, „nicht die erste Erwachsene, aber das erste richtige Arschloch.“

„Das“, sage ich, „höre ich immer wieder gerne. Wusstest du, dass Gandhi ebenfalls ein Arschloch war? Für die Briten, versteht sich. Und der Dalai Lama ist ein Arschloch für die Chinesen. Die Perspektive ist entscheidend.“

Vor allem aber bin ich durchweg beeindruckt von ihr. Regina geht durch ihre Welt wie eine Königin, sie berücksichtigt keine Konventionen. Sie spricht ungefiltert, sagt, wenn jemand sie langweilt oder nervt. Wie oft habe ich mit jemanden gesprochen und gehofft, dass dieser endlich die Klappe halten oder verschwinden möge. Meine brave Erziehung hält mich davon ab, beleidigend zu werden und anderen vor den Kopf zu stoßen. Regina macht das einfach. Ihr anfängliches Ziel ist es, nicht weich zu werden und dadurch den Fokus zu verlieren. Regina will die Kunstwelt verändern, die alten, verstaubten Ansicht „sex sells“ zu provokanten, modernen „money sells“ umkrempeln.

„Nichts anderes als Körperverletzung war das“, wiederholt er. „Du weißt schon, dass ich dich dafür anzeigen könnte?“

„Ja, mach ruhig“, sage ich, „dann zeige ich dich wegen Vergewaltigung an und behaupte, dass es Notwehr war. Schau doch“, sage ich und boxe mir mit der Faust in den Bauch, dann aufs Brustbein. „Siehst du? Körperverletzung kann ich dir auch noch anhängen. Seit #MeToo stellt das kein großes Problem mehr dar. […]“

Gefallen hat mir vor allem an Krölls Roman, dass es keine Gegenfigur zu Regina braucht. Sie ist Antiheld und Held zugleich. Denn im Laufe der Geschichte kommt ihre heldenhafte Seite zum Ausdruck. Sie handelt selbstlos, zeigt, dass ihr Herz nicht aus Stein ist. Das Spannende an der Geschichte ist somit ihre Verwandlung bzw. ihre Öffnung. Sie bleibt sich treu, holt aber neue Seiten an sich hervor, nämlich die gefühlvolle und einfühlsame. Man kann schon fast von einer mütterlich sorgenden Seite sprechen. Regina strahlt weniger Wärme, sondern Fürsorge für ihre liebsten Menschen aus: ihre beste und einzige Freundin Sue und leicht widerwillig auch für Sues Frau Jen sowie für ihren Bruder und ihr Baby: die Belvertina. Für diese tut sie alles, zwar auf ihre eigene ruppige Art, aber genau das macht sie so liebenswert. Auch beginnt sie, auf ihren Körper zu hören. Ihre Herzschmerzen sind eine Symptomatik für ihre innere Traurigkeit, für das Fehlen von etwas.

Regina macht auf ein wichtiges Thema aufmerksam: die Benachteiligung von Frauen im Kunst- und Kulturbetrieb, von Künstlerinnen, Kuratorinnen, Galeristinnen. Sie verdienen weniger als ihre männlichen Kollegen und werden seltener ausgestellt. Wer kann den 10 männlichen Top-Künstlern 10 weibliche Top-Künstlerinnen gegenüberstellen? Die künstlerische Elite ist in erster Linie männlich geprägt, weibliche Kunstschaffende werden oft übergangen. Nicht nur das, gerade im Kunstbereich ist Gleichberechtigung und die Vereinbarkeit von Karriere und Familie kaum zu realisieren. Genau diesen Aspekt nimmt Regina durch ihre innere Einsicht neu wahr. Sie will Veränderung und Verständnis erwirken für Künstlerinnen und Mutterschaft. 

„Ich denke an alle mir bekannten Frauen, die neben der Betreuung der Kinder und dem Studium und einem zusätzlichen Teilzeitjob, der ihnen wenigstens ein bisschen finanzielle Unabhängigkeit verschafft, ohne Honorar an Ausstellungen teilnehmen, um die Lücke zu füllen und die Männer einzuholen, die, während die jungen Mütter sich zu Hause um die Erziehung gekümmert haben, ihre Kunstproduktion ohne Zeitverluste vorantreiben konnten. Nein, […] die Kunstwelt ist noch nicht so weit. […] All die Ausbeutung, die unter dem Deckmantel der Kunst begangen wird. Ja, es ist zum Schämen. Und es muss sich ändern. Es muss!“

Die Dialoge sind spritzig, amüsant, erstaunlich, klug. Auch die Geschichte um Reginas Schwangerschaft und die Adoption ist stimmig konstruiert. Das Ende so unerwartet wie die Figur selbst. Kröll benennt die Probleme des Kunstbetriebs, stellt die Rollen- und Geschlechterzuschreibungen infrage und diskutiert die Rolle der Mutterschaft. Gerade diese Thematik von einem Mann aufgearbeitet ist erfrischend, und er bringt durch die humorigen Passagen Leichtigkeit mit in das kontroverse Thema. 

Fazit

Klare Leseempfehlung!

Vielen Dank an buchcontact und an Kremayr & Scheriau für das Leseexemplar.

Norbert Maria Kröll „Die Kuratorin“

Kremayr & Scheriau, 2022, 302 Seiten

ISBN: 978-3-218-01336-9