Sabrina Imbler „So weit das Licht reicht“

Sabrina Imbler „So weit das Licht reicht“

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Dieses Buch hat mich zwiegespalten. Es ist fesselnd und faszinierend, aber auch fremd und erschreckend. Sabrina Imblers Naturbuch „So weit das Licht reicht“ hat mich neugierig gemacht, aber auch teilweise nicht berührt. Es ist persönlich, aber auch irgendwie fremd. Zu- und Abneigung (wenn man das so hart sagen mag) liegen hier nah beieinander. Ist euch das auch schon mal passiert?

„Aber das Leben findet immer einen Raum für einen Neubeginn, und Gemeinschaften in Not werden einander immer wieder finden und sich neue Wege bahnen, um gemeinsam in der Dunkelheit zu funkeln und zu leuchten.“

Imblers Debüt ist absolut kein schlechtes Buch, ich habe es insgesamt gerne gelesen. Es ist anders, und darauf muss man sich einlassen wollen. Als eines der 10 besten Non-Fiction-Bücher des Jahres 2022 laut Times Magazin stellt es naturkundliche Beobachtungen der Tiefsee menschlichen Verhaltensweisen und Erlebnissen gegenüber. Imbler zeigt Gemeinsamkeiten auf zwischen uns, speziell der eigenen Biografie und dem Unterwassertierreich. Somit ist es ein sehr persönliches Buch. Imbler berichtet von den eigenen biracial Erfahrungen als Kind einer chinesischen Mutter und eines weißen Vaters, vom Erwachsenwerden und der Suche nach der sexuellen Identität, nach Zugehörigkeit und Verbindung. Imbler, Journalist*in und Fan geheimnisvoller Kreaturen der Tiefsee, stellt uns skurrile, mitunter unbekannte und kaum erforschte Tierarten vor, wie der freigesetzte, verwilderte Goldfisch, der sich als Überlebensprofi bestens an neue Umgebungen anpasst, heimische Fische verdrängt und Ökosysteme zerstört. Dieses Verhalten lässt sich tatsächlich ganz wunderbar auf den Menschen übertragen. Denn verdrängt und zerstört der Mensch nicht tagtäglich Natur- und Lebensraum anderer Menschen und Lebewesen, ist für das Aussterben zahlreicher Arten verantwortlich? Entwickelt er sich nicht auch weiter, nimmt neue Formen an?

„Wir hatten uns gehäutet […] beide waren wir Nymphen, die ein Außenskelett nach dem anderen ablegten und dabei jedes Mal eine neue Gestalt annahmen. Wir wussten nicht, welche Häutung unsere letzte sein würde, sondern nur, dass wir vielleicht noch nicht am Ziel waren; wir waren Flüsse, die sich in Richtung Meer bewegten. Einige Jahre nach dieser Nacht änderte they den Namen und das Pronomen; noch später änderte ich meins.“

Mein Lieblingskapitel ist allerdings das über die prämierte „Mutter des Jahres“ im Tierreich, die Oktopusmutter, die sich 4 ½ Jahre an einen Felsvorsprung klammerte und so lange auch ihren Nachwuchs behütete. Sie bewegte sich nicht, fraß nicht, dafür schrumpfte sie, wurde blasser und immer weniger. Oktopusweibchen legen in ihrem Leben nur ein einziges Mal Eier und sterben nach dem Schlüpfen. Mütterliche Selbstaufopferung sollte einen neuen Namen bekommen!

Was noch Störe, Yeti-Krabben, Blauwale, Riesenborstenwürmer, hybride Falterfische, Kalmare, Salpidae, Sepien, unsterbliche Quallen mit uns gemein habe, könnt ihr in Imblers Buch nachschlagen.

Fazit

Es hat Spaß gemacht, in die Wunder der Natur abzutauchen, viel Neues und Erstaunliches zu lesen und zu sehen, wie ähnlich wir Lebewesen doch sind. Also, kein schlechtes Buch, aber vielleicht bin ich als heterosexuelle, weiße Mittdreißigerin nicht die richtige Adressatin. Ich wünsche mir natürlich, dass jede Person sich verwirklichen kann egal auf welche Weise, aber Imblers private Einblicke waren mir teilweise zu weit weg, haben mich überrascht und erschreckt. Vielleicht hat die jüngere Generation da einen anderen Blickwinkel drauf?

Vielen Dank an den C.H.Beck Verlag für das Leseexemplar.

Sabrina Imbler „So weit das Licht reicht. Die Kreaturen der Tiefsee und was sie mir über das Leben erzählen“

Mit Illustrationen von Simon Ban

Aus dem Englischen übersetzt von Anja Krauß

C.H.Beck Verlag, 2023, 283 Seiten

ISBN 978-3-406-80657-5