Tom Hillenbrand „Die Erfindung des Lächelns“

Tom Hillenbrand „Die Erfindung des Lächelns“

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Mona Lisas geheimnisvolles, feines Lächeln. Ihr intensiv folgender Blick durch wissende Augen. Ihre distanzierte Miene. Was genau begründet die Faszination von Leonardo da Vincis La Gioconda? Tom Hillenbrand geht dieser Frage auf den Grund und liefert eine spannende Kriminalgeschichte um den tatsächlichen Raub der Madonna Lisa am 21. August 1911. Lasst euch von ihm ins Paris der Belle Époque entführen.

„‚Più vita che la vivacità‘, sagt der Chefkurator.“ („Ein Bild, lebendiger als das Leben.“)

Worum geht es?

Die aufregende Jagd nach der verschwundenen Mona Lisa im Paris der Belle Époque – ein historischer Roman voller Intrigen, Kunst und Kultur!

Als der Pariser Louvre am 22. August 1911 seine Pforten öffnet, fehlt im Salon Carré ein Gemälde: Leonardo da Vincis »Mona Lisa«. Sofort versetzt der Polizeipräfekt seine Männer in höchste Alarmbereitschaft, lässt Straßen, Bahnhöfe und sogar Häfen sperren. Doch es ist zu spät. La Joconde ist verschwunden. Juhel Lenoir von der Pariser Polizei soll es finden – und die Welt schaut ihm dabei zu … (Verlagstext)

Wie fand ich es?

Le Tout-Paris spricht nur über ein Thema. In jedem Salon und Café werden immer bizarrere Theorien über den Raub ausgetauscht. Zeitungen berichten fast von nichts anderem. Steckbriefe, Poster und Postkarten der nun berühmtesten Frau zieren jede Laterne. Aber selbst ein hoher Finderlohn hilft nicht, das nunmehr unverkäufliche Gemälde aufzuspüren. Die Ermittlungen der Polizei, von Juhel Lenoir sind zunächst ergebnislos. Spannend finde ich, dass Tom Hillenbrand uns über die Schulter des Kommissars schauen lässt, dass wir seinen Überlegungen zu möglichen Motiven und Verdächtigen, seinen manchmal unüblichen Ermittlungsmethoden folgen können. Es macht Spaß zu lesen, wie unfassbar nahe er den Personen, die sich im Netz der Mona Lisa verfangen haben, und dem Gemälde an sich kommt.

„Erst als die Joconde verschwand, wurde sie zu dem, was sie jetzt ist.“

Hillenbrand bietet uns allerdings nicht nur Einblick in die Polizeiarbeit, wir flanieren durch die Avenues der Hauptstadt der Welt und treffen die verschiedensten Menschen: Tänzerin Isadora, Näherin und Anarchistin Jelena, Künstler Pablo Picasso, Schriftsteller Guillaume Apollinaire, Maler und Schreiner Vincenzo, Okkultist und Bergsteiger Aleister Crowley, Dieb und Taugenichts Géry Pieret. Sein breites Figurenpersonal ist am Anfang leicht überwältigend, sind es doch nicht nur viele Personengruppe, sondern oftmals auch Spitznamen oder Pseudonyme. Je weiter man aber liest, desto greifbarer und voller werden sie. Spannend ist, die Querverbindungen zwischen ihnen zu entdecken – auch eine Art Detektivgeschichte. Rückschlüsse des Kommissars, zufällige Begegnungen, neue Offenbarungen, dieselben Absichten, neue Freundschaften und Verbindungen lassen das große Paris auf einen kleinen Kreis schrumpfen. Auch musste ich mehrfach schmunzeln, welchen Weg Mona Lisa geht, durch wessen Hände sie gereicht wird. Und jede Figur, die ein Blick auf da Vincis La Gioconda wirft, ist von ihr auf unterschiedlichste Weise fasziniert.

„Aber wie genau beschreibt man dieses Lächeln? Dass sie una donna gioconda ist, eine heitere Frau, findet er nicht. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als sei sie mit sich im Reinen. Aber das täuscht. Dieses Mädchen ist weitaus weniger glücklich, als es zunächst den Anschein hat.“

Vincenzo

„In der Tat ist der Gesichtsausdruck der Joconde unwägbar. Vielleicht ist ihr langweilig, vielleicht ein wenig übel, man vermag es nicht zu sagen. Beeindruckender als das Lächeln erscheinen Jelena allerdings die Augen. […] Sie wirken ganz anders als auf den Fotos und Reproduktionen. Der Blick der Joconde ist gleichzeitig fest und zart.“

Jelena

„Isadora […] blickt in die haselnussfarbenen Augen der Mona Lisa. Die Leute behaupten, ein mysteriöses Lächeln umspiele ihre Lippen. Auch Isadora schien es stets so. Doch nun, da sie ein Tête-à-Tête mit Da Vincis Meisterwerk hat, bekommt sie einen gänzlich anderen Eindruck. Die Mona Lisa lächelt überhaupt nicht.“

Isadora

„So sublim das Lächeln der Joconde, so elegant ihre Sfumato-Übergänge, so gewöhnlich ist die Art und Weise, wie sie dasitzt. […] Wichtig ist nur die Legende, die durch das Bild geschaffen wird, nicht das Bild selbst. […] Und es gibt kein Bild, auf das der Satz mehr zutrifft als auf diese kleine Mademoiselle.“

Picasso

In Paris des Jahres 1911 schwelen aber noch weitere Herde. Hillenbrand breitet vor uns ein vielschichtiges Bild dieser schillernden Stadt aus. Politik, Kunst, Tanz, Literatur, Kino, Mode, Mystik, Technik, Mobilität und in allem sichtbar die gesellschaftliche Kluft. Es ist eine Zeit, die auf einen Umbruch hinsteuert – besonders aufregend mit dem Wissen von heute.

Fazit

Ist der Diebstahl der Mona Lisa aus dem Louvre einem Verbrechenskünstler à la Arsène Lupin oder Fantômas zuzuschreiben? Oder sollte die Polizei nach einem simplen Auftragsdieb suchen? Waren es gar Künstler selbst, die ihre daraufhin angefertigten Fälschungen an verschiedene Privatsammler verkaufen wollen? Hillenbrand verflicht bekannte Fakten mit den Spekulationen dieser Zeit und einer Prise Vorstellungskraft zu einem unterhaltsamen Kriminalroman. Dem Gemälde zu folgen und herauszufinden, wie es wieder ins Louvre gelangt, ist schon allein ein Kunstwerk an sich. Fesselnd, aufregend, lesenswert!

Vielen Dank an den Kiwi-Verlag für das Leseexemplar.

Tom Hillenbrand „Die Erfindung des Lächelns“. Roman

Kiepenheuer & Witsch, 2023, 512 Seiten

ISBN: 978-3-462-00328-4