Vincent Kliesch „Im Auge des Zebras“

Vincent Kliesch „Im Auge des Zebras“

with Keine Kommentare

»Kannst du die Wahrheit ertragen, auch wenn sie furchtbar ist? Oder ziehst du die Ungewissheit vor? Wählst du den Feind, gegen den du kämpfen kannst, oder den Wind, den du niemals zu greifen bekommen wirst, der dir aber auch nichts anhaben kann?«

Meine Entscheidung: immer für die Wahrheit, auch wenn sie schmerzhaft ist. Denn Ungewissheit kann noch viel schlimmer sein. Und dass es so ist, zeigt uns Vincent Kliesch in seiner neuen Auftaktreihe um die Hauptkommissarin Olivia Holzmann in »Im Auge des Zebras«. Olivia muss einen verzwickten Mord- und Entführungsfall lösen, in dem der Mörder nicht den Gesetzen der Physik folgt. Übersteigt dieser mysteriöse und rätselhafte Fall Olivias Fähigkeiten? Kliesch komponiert einen sehr klugen Psychothriller mit spannenden Details und interessanten, überraschenden Wendungen.

Worum geht es?

Im Reihen-Auftakt »Im Auge des Zebras« von Bestsellerautor Vincent Kliesch muss Kommissarin Olivia Holzmann einen Fall lösen, den es gar nicht geben kann.

Was physikalisch vollkommen unmöglich ist, geschieht in ganz Deutschland: Überall werden Teenager entführt, die Eltern kurz darauf ermordet. Und allen Beweisen nach wurden die Taten zur selben Zeit und von derselben Person verübt! Kommissarin Olivia Holzmann vom LKA Berlin tappt im Dunkeln und weiß nur, dass den Jugendlichen die Zeit davonläuft. Um diesen scheinbar übernatürlichen Fall zu lösen, bedarf es der Fähigkeiten dreier besonderer Ermittler: der Willensstärke von Olivia Holzmann, der genialen Beobachtungsgabe ihres Mentors Severin Boesherz und der Erfahrung der pensionierten Kommissarin Esther Wardy. Die drei ahnen nicht, wie leicht ihnen der Täter jederzeit das Liebste nehmen kann, das sie besitzen … (Klappentext des Verlags)

Wie fand ich es?

Der*Die Leser*in begleitet überwiegend Olivia bei ihren Ermittlungen. Als Nebenstrang folgen wir Boesherz und seinem Sohn Ferdinand bei ihren Gedankenspielen, woraus hervorgeht, wie wertvoll Boesherz für das LKA sein kann. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Olivia versucht, ihn in ihre Ermittlungen einzubinden. Etwas verwirrend finde ich, dass sie anfangs Boesherz auf keinen Fall involvieren will und ihn nur widerwillig fragt, später durch seine Ablehnungen aber umso mehr will, dass er sie mit seiner außergewöhnlichen Beobachtungsgabe unterstützt. Mir gefällt, dass trotz allem Olivia den Hauptpart spielt. Wie viele Serien und Romanreihen gibt es, in denen eine schlaue, geniale Person mit hoher Auffassungsgabe die Rätsel alleine löst, und die ihm umgebenden Personen nur als Statisten dienen?! Diese weibliche Ermittlerin ist zwischen den vielen Genies (auch im LKA sitzen wohl nur beeindruckende Persönlichkeiten!) erfrischend, gar bodenständig und bietet damit dem*der Leser*in eine Identifikationsfläche. Sie ist eine tatkräftige, gewissenhafte und kluge Kommissarin. Vielleicht fehlt mir an ihr noch ein Makel, eine Schwäche, die sie menschlicher und fehlbar erscheinen lässt. Die Unsicherheit, dass ihre Ermittlerfähigkeit nicht genügt, um die Kinder zu retten, ist für mich noch nicht ausreichend. Ich bin gespannt, wie in den nächsten Fällen die Figur Olivia weiter Kontur annimmt, sich entwickelt und vielleicht nun unabhängig von Boesherz die Fälle löst.

Die Täterfiguren hat Kliesch ebenfalls sehr gut konstruiert. Der*Die Leser*in schaut ihnen in die Tiefe ihrer Seele. Kliesch zeigt mit ihnen auf, dass die Welt nicht in Schwarz und Weiß, nicht in Gut und Böse einzuteilen ist und dass auch ein Mörder Lasten zu tragen hat. »Wir haben alle unseren Rollstuhl. Du hast nur das Glück, dass man deinen sehen kann!« Die Grauschattierungen machen den Menschen aus. Ein vermeintlich schlechter Mensch kann sich auch für die Rettung fremder Kinder einsetzen. Er kann positive Züge haben, andere lieben, sich um sie kümmern und umsorgen. Auch Menschen, denen Schlimmes widerfahren ist und die unsichtbare Wunden davongetragen haben, die nicht so einfach heilen, stehen womöglich näher an der Grenze zum Bösen. Sie sind vielleicht dadurch eher geneigt, ihr Leid mit dem Leid anderer zu vergelten. Umgekehrt sind sie aber auch in der Lage, das Böse als das Böse zu erkennen und sich für einen anderen Weg zu entscheiden.

»Du bist stark, vergiss das nie! Das Zebra ist ganz genauso in dir wie dieser bösartige Parasit. Und es kann ihn besiegen. Wenn du es willst.«

Ein guter Thriller lebt ja davon, dass der*die Leser*in erst am Ende erfährt, wer der Mörder ist. Kliesch geht einen anderen Weg. Bereits in der Mitte des Buches legt er offen, wer der Mörder ist, indem er zumindest den Mörder – noch unerkannt – zur Sprache kommen lässt. Damit werden einige lose Fäden der Geschichte miteinander verflochten. Diese Zusammenhänge führen bereits in Richtung der Auflösung (leider teilweise sehr offen). Ich bin mir auch jetzt noch nicht sicher, ob ich das gut oder schlecht finde. Es hat die Spannung und das Tempo erhöht, gleichzeitig hat es aber auch das Mysteriöse der Geschichte genommen.

Für mich standen bereits sehr früh bestimmte Figuren unter Verdacht. Leider haben sich genau diese Vermutungen bestätigt (Wenn eine Beziehung zu perfekt erscheint, sie aber unausgeglichen ist, dann ist sie zu schön, um wahr zu sein – und es verbirgt sich noch mehr dahinter). Der Täter und seine Motivation waren für mich recht früh auszumachen. Das Spannende an diesem Thriller aber waren vor allem die Herangehensweise und die Gedankenwege von Olivia und Boesherz bei den Ermittlungen genauso die verstrickten Verbindungen in die Vergangenheit. Hier ist ein sehr ausgeklügelter Plot zu erkennen. Denn nicht das Wer, sondern das Wie hat die Geschichte getragen. Der Erzählstrang um Sokolov ist besonders gelungen. Ich bin schon gespannt auf zukünftige Schlagabtausche zwischen ihm und Olivia.

Fazit

Zwar nicht so unvorhersehbar wie gedacht, aber alles in allem ein toller Auftakt einer spannenden Thrillerreihe. Ich würde mich über einen weiteren Holzmann-Thriller freuen!

Vielen Dank an den Verlag Knaur für die Bereitstellung des Leseexemplars und an vorablesen.de.

»Im Auge des Zebras. Ein Bösherz-Thriller«

Vincent Kliesch

Knaur Taschenbuch, Dezember 2021

368 Seiten, 1. Auflage

ISBN: 978-3-426-52666-8